Das Leben kann so schön sein

In «Ricordati di me» zeigt Regisseur Gabriele Muccino («L’ultimo bacio») mit viel Gefühl, Witz und Charme, wie das im Alltagstrott gefangene Leben einer Römer Mittelklassefamilie aus den Fugen gerät.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Ich will mich wieder lebendig fühlen», erklärt Giulia (Laura Morante) etwa in der Mitte des Films, und das ist so ziemlich das einzige, was sie noch mit ihrer Familie verbindet. Ihr Ehemann Carlo (Fabrizio Bentivoglio), mit dem die Kommunikation vor geraumer Zeit erloschen ist, macht gerade eine Midlife Crisis durch, die durch das Wiedersehen und die anschliessende Affäre mit seiner früheren und, wie er glaubt, einzigen wahren Liebe Alessia (Monica Bellucci) eine ungeahnte Dynamik erfahren hat, ihr kurz vor seinem 19. Geburtstag stehender Sohn Paolo (Silvio Muccino) leidet darunter, dass er – vor allem von den Mädchen – nicht wahrgenommen wird, und Teenager-Tochter Valentina (Nicoletta Romanoff) hat sich in den Kopf gesetzt, eine Karriere als Showgirl beim Fernsehen zu machen, wofür sie alles zu tun bereit ist.

Leidenschaft vs. Geborgenheit

Bereits mit dem wunderbar melancholischen Hit «L’ultimo bacio» hat sich Regisseur Gabriele Muccino als feiner Beobachter erwiesen, der die kleinen und grossen Sorgen des modernen Grossstädters haargenau, liebenswert und vor allem mit viel Gefühl und Verständnis auf den Punkt zu bringen weiss. In «Ricordati di me» erzählt der 36-jährige Römer seine Geschichte nun gleichsam weiter: Giulia und Carlo, das kurz vor ihrer Hochzeit aus dem Gleichgewicht gebrachte Paar von «L’ultimo bacio», sind mittlerweile seit rund 20 Jahren miteinander verheiratet, wobei die Ehe, wie der Schluss des Films schon nahe gelegt hat, weniger auf heisser Leidenschaft beruht, sondern vielmehr auf Vernunft und Konsens. Giulia und Carlo aus «Ricordati di me» sind ein Paar, das an sich gearbeitet hat, das zwar nicht wirklich unglücklich miteinander ist, bei dem jedoch die ganz grosse Liebe nie so recht entflammt zu sein scheint. «Wir kastrieren uns gegenseitig», sagt Carlo, der eigentlich gerne Schriftsteller geworden wäre und stattdessen einem Bürojob nachgeht, in einem Moment der Verzweiflung und der Überdrüssigkeit ob all der leidenschaftslosen Mittelmässigkeit seines Daseins und seiner Ehe. Und doch ist er letztlich gefangen in seinem Bedürfnis nach Sicherheit, nach Beständigkeit, und doch erkennt er das Wertvolle seiner Ehe, die bewährte, die bequeme Geborgenheit, die ihn am Ende immer wieder zu Giulia zurückbringt. 

Italian Beauty

«Ricordati di me» ist quasi eine Softversion von Sam Mendes’ «American Beauty» – mit einer Prise mehr Realismus und einer Prise weniger Tragik. Muccino legt es wie Mendes auch nicht darauf an, die Welt in bleischweren philosophischen Exkursen zu erklären, sondern widmet sich stattdessen augenzwinkernd den kleinen Dingen, die schon oft grosses Kino ausgemacht haben, und beweist überdies ein exzellentes Gespür für die Besetzung seiner Figuren. Noch selten haben zwei Schauspieler überzeugender Vater und Sohn verkörpert als Fabrizio Bentivoglio und Silvio Muccino (der jüngere Bruder des Regisseurs), werden dabei aber von den durchweg starken Frauenfiguren noch in den Schatten gestellt: Ausnahmekönnerin Laura Morente, die bereits in Nanni Morettis weit ernsthafterem, aber nicht überzeugenderem Drama «La stanza del figlio» eine Mutter einer aus den Fugen geratenen Familie gespielt hat, knüpft nahtlos an ihre Glanzleistung in Michele Placidos «Un viaggio chiamato amore» an, Nicoletta Romanoff beeindruckt in ihrer allerersten Rolle als egozentrische Principessa, als karrieregeiles Luder mit Lolita-Appeal, und die überirdisch schöne Monica Bellucci darf für einmal mehr als nur Pin-up-Girl und Projektionsfläche für lüsterne Altherrenfantasien sein, wie sie dies etwa in Giuseppe Tornatores «Malèna» war, und zeigt nach ihren Auftritten in englisch- («The Matrix Reloaded») und französischsprachigen («Irréversible») Filmen, um wie viel ausdrucksstärker sie in ihrer Muttersprache parlierend wirkt. «Ricordati di me» ist auch seiner Darsteller(-innen) wegen Kino mit Herz – ein grandioser, ein perfekter, ein grosser Film. Und wenn Elisa zum Abspann noch ihre herzerwärmende Version des Mia-Martini-Hits «Almeno tu nell’universo» singt, ist das ein angemessener Abschluss von rund zwei Stunden purem Kinovergnügen.