Kühl und düster – und Lisbeth ist wieder wunderbar

Starregisseur David Fincher hat sich nicht verblenden lassen und in seiner überragenden Stieg-Larsson-Verfilmung «The Girl with the Dragon Tattoo» nichts aufgehübscht für Hollywood.

 

von Sandro Danilo Spadini

Manchmal ist das Leben halt schon schön. Denn manchmal kommt es doch genau so, wie man es sich erträumt hat, und eben gerade nicht so, wie man es befürchtet hat. Und zuweilen – selten, gewiss – kommt es danach sogar noch besser. Als Krimi-Fan darf man sich dieser Tage just über solch ein Wunder freuen und jubilieren und frohlocken über den Fall «Verblendung» oder «The Girl with the Dragon Tattoo», wie er auch genannt wird. Einfach zum Seligwerden war es ja schon, als der kurz davor verstorbene schwedische Autor Stieg Larsson der Welt vor rund fünf Jahren dieses wunderbare Geschöpf namens Lisbeth Salander schenkte. Als sehr moderne erwachsene Pippi Langstrumpf raste das verwundete bevormundete Wunderkind durch seine millionenfach verkaufte «Millennium-Trilogie» und avancierte so zum popkulturellen Phänomen. Larsson schilderte seine so heldenhafte Protagonistin auf derart liebevolle und anschauliche Weise, dass die unvermeidliche Verfilmung freilich nie im Leben dem exakt modellierten Lisbeth-Bild in unseren Köpfen würde standhalten können. Doch dann, im Herbst 2009, kam diese vermaledeite Verfilmung, und es geschah eben nicht das, was man befürchtet hatte, sondern gerade das, was man sich insgeheim erhofft hatte: Eine gewisse Noomi Rapace sagte einen patzigen Satz, nahm einen Zug von der Zigarette – und Lisbeth Salander ward Fleisch und Blut geworden. Nie, nie, nie würde es eine bessere Lisbeth geben, und schon grauste es einen neuerlich: nämlich vor der unvermeidlichen amerikanischen Neuauflage. Und tatsächlich: Kaum war der dritte Teil der schwedischen Reihe durch, konkretisierte sich das US-Remake bereits: Starregisseur David Fincher werde Regie führen, die aus seinem Meisterwerk «The Social Network» flüchtig bekannte Rooney Mara gebe die Lisbeth.

Zügig und verzwickt

Nun liegt auch das amerikanische Remake der schwedischen Verfilmung des ersten Stieg-Larsson-Romans vor, und nun tritt einer dieser gewiss seltenen Fälle ein, wo es nochmals besser kommt. Denn diese Rooney Mara ist als Lisbeth Salander einfach umwerfend, hinreissend, ergreifend. Wiewohl sie das bestimmt nicht schätzte: Vor Freude umarmen möchte man diese dürre, gepiercte, tätowierte, belederjackte, dunkel geschminkte, hyperintelligente, emotional herausgeforderte Überlebenskämpferin. Keine Chance, sich ihrem leeren Blick zu entziehen; keiner ihrer dahergenuschelten Laute entgeht einem. Und kaum ist sie mal für eine Minute oder zwei von der Leinwand verschwunden, vermisst man sie schon. Doch sollte man ihr in diesen Momenten nicht zu lange nachtrauern, denn zum einen kommt sie ja wieder und zum anderen drohte man so den Anschluss zu verlieren in einer nicht unverzwickten und ziemlich zügig erzählten Geschichte. Eine Geschichte notabene, die David Fincher und sein Drehbuch-Zampano Steven Zaillian («Schindler’s List») nicht nur in Schweden beliessen, sondern auch anderweitig allergrösstenteils so wie von Stieg Larsson vorgesehen. Auch am Anfang dieser abermaligen Verfilmung steht also der abgetretene Wirtschaftskapitän Henrik Vanger (Christopher Plummer), dem das 40 Jahre zurückliegende Verschwinden seiner Nichte keine Ruhe lässt. Auf seine ganz alten Tage hin möchte er das potenzielle Verbrechen nun endlich geklärt haben und engagiert den in rechtliche Turbulenzen geratenen linken Investigativ-Journalisten Mikael Blomkvist (hervorragend: Daniel Craig). Vermeintlich dazu verpflichtet, Vangers Biografie zu verfassen, soll Blomkvist die krude Verwandtschaft ausleuchten, unter der der Alte den Schuldigen wähnt. Und da das Vorkämpfen durch die isolierte insulare Schneelandschaft und das Dickicht der vangerschen Perversionen anstrengender ist erwartet, holt er sich schliesslich Hilfe ins Boot und ins Bett: die 24-jährige Ermittlerin und Computerhackerin Lisbeth Salander, die das in den Adern gefrorene Blut wieder in Wallung bringt.

Unter die zugefrorene Oberfläche

Selbst wenn man kein Fan amerikanischer Neuverfilmungen ist: Wenn mit David Fincher Hollywoods Thriller-Experte schlechthin den europäischen Thriller-Bestseller schlechthin inszeniert, dann ist das schon etwas Schönes. Und der Regisseur von «Seven», «The Game», «Fight Club» und «Zodiac» enttäuscht dann auch keineswegs und liefert tatsächlich die beste Krimiadaption des US-Kinos ab, seit die Lämmer schweigen. Hoch atmosphärisch und düster-unterkühlt ist sein Film, wozu auch die gespenstische Musik von Nine-Inch-Nails-Chef Trent Reznor ihren Teil beiträgt. Rau ist er und so verstörend wie die Vorlage, weil Fincher sich nicht hat verblenden lassen und nichts aufgehübscht hat für Hollywood. Und intensiv und nahrhaft ist er mit seiner Spielzeit von 158 Minuten, die wie im Flug und in einem Zug vorbeigehen, obwohl Fincher und Zaillian durchaus mal an Ort und Stelle treten, um unter die zugefrorene Oberfläche zu dringen. Sicherlich liesse sich darüber diskutieren, ob es diesen Film wirklich gebraucht hat – nach dem schon geglückten ersten Versuch. Von diesem mögen Fincher und Zaillian zwar nur in Nuancen abweichen; doch ist diese fürs Kino gedachte Version letztlich doch ein ganz anderes Kaliber als die fürs Fernsehen produzierte schwedische.  Und ausserdem bereichert sie die Popkultur um eine weitere dieser ewigen Fragen: Noomi Rapace oder Rooney Mara – wer ist die bessere Lisbeth Salander?