Aufs richtige Pferd gesetzt

John Gatins’ Regiedebüt «Dreamer» ist ein unambitioniert unterhaltender, sorgfältig inszenierter Film für die ganze Familie – und insbesondere für die pferdevernarrten Töchter.

 

von Sandro Danilo Spadini

Auch wenn sie des Öfteren miteinander über Kreuz liegen mögen, sind die Cranes doch irgendwie die amerikanische Musterfamilie vom Lande: Töchterchen Cale (Kindstar Dakota Fanning) ist ein kluger wie süsser Fratz mit ganz grossen Kulleraugen und bereits gehörig entwickeltem Manipulationsvermögen; Mama Lil (Elisabeth Shue) hält sich meist dezent im Hintergrund und schuftet sich als Kellnerin die Nächte um die Ohren; und Papa Ben (Kurt Russell) ist ein kerzengerader Malocher und bisweilen auch ein sturer Bock, dem es wie seinem Daddy Pop (Kris Kristofferson) schwer fällt, seinem Kind gegenüber Zuneigung und Zärtlichkeit zu zeigen. Was die Cranes nebst einem just in Krisenzeiten stetig wachsenden Zusammengehörigkeitsgefühl eint, ist eine fast schon existenzielle Liebe zu Pferden. Und ebendiese Liebe ist es, die die aussergewöhnliche und wohl halbwegs wahrheitsgetreue Geschichte von John Gatins’ Regieerstling «Dreamer: Inspired by a True Story» möglich gemacht hat: die von einer klassischen Sportfabel eingerahmte Geschichte einer, wenn nicht zweier wundersamen Heilungen.

Märchenhafte Geschichte

Am Anfang stehen ein dem Tode geweihtes Tier und eine kränkelnde Kleinfamilie. Als die von Ben trainierte Stute Soñador nach einem Rennunfall mit gebrochenem Bein auf der Strecke liegt, scheint für sie alles vorbei zu sein. Nur Cales todtrauriger Blick verhindert, dass Ben den Befehl zum eigentlich nötigen Gnadenschuss gibt. In einer für ihn recht untypischen Anwandlung von Sentimentalität erwirbt er stattdessen den maladen Gaul und bringt ihn auf die lange verwaiste heimische Pferdefarm. Dort soll Soñador mit Liebe, Gottvertrauen und althergebrachten Methoden wieder aufgepäppelt werden, auf dass sie sich dereinst wenigstens zur Zucht hoch veranlagten Rennnachwuchses nützlich machen werde. Weil diese Vorstellung nun aber gar unromantisch ist und hier doch eine traumhafte Geschichte erzählt werden soll, kommt natürlich alles ganz anders, viel besser, ungleich schöner, bedeutend herzergreifender. Und mit der Genesung des Tiers geht denn auch allmählich jene der Familie einher: Pop nähert sich an Ben an, Ben seinerseits an Cale, bis am Ende alle so nahe beieinander sind, dass sie sich in den Armen liegen, «Ich liebe dich» hauchen und selig Soñadors munterem Wiehern lauschen.

Alles wird gut

Trotz der gleich mal in den Titel gesetzten Versicherung «Inspired by a True Story» kommt das alles freilich arg realitätsfern rüber. Rügen mag man dieses sorgfältig inszenierte Filmmärchen dafür aber ebenso wenig wie für die simplen Figurenzeichnungen oder das dienstfertige Bedienen der Klischees, die im Minutentakt beidseits des völlig geradlinig verlaufenden Wegrands herüberwinken. Was einen im Ziel erwarten soll, wird schliesslich schon nach den ersten Einstellungen – Zeitlupe, Rauchschwaden und Violinenuntermalung inklusive – mehr als deutlich: ein Gefühl, unambitioniert unterhalten worden zu sein und etwas fürs Gemüt bekommen zu haben. Mit ruppigem Galopp, tollkühnen Volten oder bahnbrechenden philosophischen Erkenntnissen braucht bei «Dreamer» hingegen nicht zu rechnen. Hübsche Aufnahmen von prächtigen Tieren und ein vergleichsweise erträglicher Kitschquotient sorgen derweil dafür, dass Gatins’ oft gehörtes, indes tonsicher gejodeltes Loblied auf des Amerikaners Lieblingstugenden durchaus ein gewisses Ohrwurmpotenzial aufweisen. Ein Mosaikbrocken zum gelungenen Gesamtbild ist schliesslich die wackere Schauspielkunst der strikt nach Typen vorgenommenen Besetzung: Herzlichkeit bringen nebst Hollywoods derzeitiger Lieblingsschülerin Dakota Fanning («Hide and Seek») die beiden Mexikaner Luiz Guzmán als Stallknecht und Freddy Rodríguez (Rico aus «Six Feet Under») als verhinderter Jockey ein; für Bodenständigkeit sorgen der stramme Kurt Russell und Country-Ikone Kris Kristoffersen in einer Rolle, die wohl Morgan Freeman übernommen hätte, wären die Cranes eine afroamerikanische Familie; und das geldgierige Böse konzentriert sich in der von David Morse verkörperten Figur des skrupellosen Rennstallmanagers Palmer. Kaum Gelegenheit, sich zu profilieren, hat einzig Elisabeth Shue, der im Spannungsfeld von finanziellen Zwängen, familiären Verpflichtungen und ideellen Werten bloss die Rolle der Mediatorin ohne Eigenleben bleibt. Sie darf mit uns dabei zuschauen, wie die anderen auch dann noch an der Verwirklichung ihrer hochtrabenden Träume werkeln, wenn allerlei Nackenschläge – monetärer, biologischer oder sportlicher Natur – das Unmögliche wirklich unmöglich erscheinen lassen. Denn wie wir wissen auch Ben, Pop und Cale, dass sie aufs richtige Pferd gesetzt haben und am Ende alles gut wird.