Im Namen des Vaters

Regisseurin Rebecca Miller erreicht mit dem Vater-Tochter-Drama «The Ballad of Jack & Rose» wohl nicht alles, was sie sich vornimmt, darf sich meist aber auf ihre beiden Hauptdarsteller verlassen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Allein, abgeschieden, abseits aller Verlockungen und Verheissungen der Konsumwelt leben Jack (Daniel Day-Lewis) und seine Teenager-Tochter Rose (Camilla Belle) als letzte Mohikaner einer Hippie-Kolonie auf einer (noch) naturbelassenen Insel. Man schreibt das Jahr 1986, und längst sind Jacks einstige 68er-Freunde wie auch seine Ehefrau aus der idyllischen Kommune geflüchtet, müde vielleicht, resigniert womöglich, erwachsen und zu Verrätern an ihren hehren Zielen geworden vermutlich. Nur Jack, der schottische Naturbursche aus vermögendem Elternhaus, ist geblieben, unvermindert kampfeslustig, starrsinnig und auch etwas selbstgefällig, noch immer träumend, den Traum einer besseren, einer idealen Gesellschaft, den Traum einer Utopie träumend. Jack also. Und Rose. Das schweigsame pubertierende Mädchen, das den herzkranken, dem Tod geweihten Vater verehrt, ja vergöttert, geradezu abgöttisch liebt. Es ist dies aber eine – sehr wohl erwiderte  – Zuneigung, die ein gesundes Mass zu übersteigen droht, die in Grenzbereiche vorstösst, wo latent inzestuöses Verlangen offenbar und gar akut wird, sich Gefühle an die Oberfläche schlängeln, die nicht sein dürfen. Gefühle freilich, die vor allem von Rose ausgehen und die mit voller Wucht ausbrechen, wenn Jack seine Geliebte (Katherine Keener), deren beide so gegensätzliche Söhne und mit ihnen die andere, die «richtige» Welt auf die Insel, in sein Haus, in sein und Rose’ Leben holt. Konfliktbeladene, problemwälzende Filmminuten brechen nun an, in denen Rose ihr sexuelles Erwachen erfährt und erleidet, derweil für Jack, einen Schritt von Sterbebett entfernt, die Zeit der Selbsterkenntnis und auch der Eingeständnisse kommt.

Schritt aus dem Schatten

Keine Frage: «The Ballad of Jack & Rose» ist ein überaus ambitionierter Film. Ein Film wohl von poetischer Kraft und purer Schönheit, voller zärtlicher, intimer Momente, berührend, beeindruckend und bisweilen auch beklemmend, grösstenteils grandios gespielt von Daniel-Day Lewis und der jungen Camilla Belle. Ein Film aber auch, der nicht alle Versprechen einzulösen vermag, die er fast ein wenig zu vollmundig abgibt; ein Film schliesslich, der an seinen eigenen Ansprüchen zu scheitern droht. Gedreht und geschrieben hat ihn mit Rebecca Miller eine Frau, der als Tochter des Autors Arthur Miller und der Fotografin Inge Morath der Sinn für Wort und Bild quasi in die Wiege gelegt worden ist. Zeugnis ihrer potenziell geerbten Begabungen legte Miller zuletzt mit dem brillanten Episodendrama «Personal Velocity» ab, das vor drei Jahren am Sundance Film Festival ausgezeichnet wurde. Einen zweiten Schritt aus dem Schatten der Eltern, aber auch des Gatten, der kein Geringerer ist als Jack-Darsteller Daniel Day-Lewis, wagt Miller nun mit ihrer mitunter fast verklärenden Ballade, diesem wehmütigen Abgesang auf die Flower-Power, diesem von gar wohlvertrauten Bob-Dylan-Klängen begleiteten Klagelied auf einen der zu vielen ausgeträumten amerikanischen Träume. Und er gelingt ihr, dieser zweite Schritt. Mit Abstrichen zumal. Und gewiss nicht mit spielerischer Leichtigkeit.

Bemühend und berührend

Es ist am Ende des Tages eine Tour de Force der nicht gänzlich unprätentiösen Sorte gewesen, auf die Miller ihre beiden Protagonisten geschickt hat. Im Bestreben, Kunst, wahre Kunst zu schaffen, verrennt sie sich nämlich wiederholt und verliert sich zuweilen im allzu Symbolischen und Metaphorischen. Sinnbildlich zum Ausdruck kommt der das Werk durchziehende Zwiespalt, dieses Schwanken zwischen bemühend und berührend, etwa im Spiel des im Grunde auch hier bravourösen Jahrhundertschauspielers Day-Lewis, dessen von der Ehefrau liebevoll, hingebungsvoll in zahlreichen Close-ups verewigtes Gesicht mindestens einmal zu oft einen gewissen Übereifer verrät. Hier wie dort, bei Day-Lewis’ zeitweiligem «overacting» wie bei Millers überbordendem Zeichenspiel, ist es eine Gekünsteltheit, die so gar nicht zum in jeder Hinsicht adäquaten naturalistischen Inszenierungsstil passen mag. Vieles wird mit solcherlei Überambition letztlich buchstäblich verspielt. Vieles, wohl aber nicht alles. Denn «The Ballad of Jack & Rose» ist einer dieser Filme, die man mögen will. Die man auch mögen darf, ja soll sogar, ist dies doch allen elegischen Exzessen zum Trotz ein sogenannt wichtiger, ein wertvoller Film. Mit ein bisschen mehr Zurückhaltung indes wäre es vielleicht sogar ein grosser geworden.