Alle Zeit der Welt

Furios, fulminant, fantastisch: Daniel Craigs Abschied von der Bond-Bühne gereicht zum markerschütternden Finale. Und das liegt nicht nur an der kühnen Regie und dem cleveren Skript von «No Time to Die», sondern auch am Star selbst.

Universal Pictures International

von Sandro Danilo Spadini

Es beginnt in Schnee und Frost – und manch einer mag nun sagen, das passe doch perfekt zu diesem blonden Bond mit den eisblauen Augen, diesem coolen Kühlschrank, mit dem viele nie richtig warm geworden sind. Doch wie um den Nörglern trotzig ein letztes Schnippchen zu schlagen, geht es sodann gleich an die süditalienische Sonne, nach Matera, in die Stadt der Steine. Wir sind da immer noch in der Pre-Title-Sequenz und haben Billie Eilishs verführerischen Song noch gar nicht gehört, aber was hat unser James jetzt schon wieder alles durchgemacht! Natürlich wollte ihn eine Heerschaar von Schergen um die Ecke bringen, in die Luft sprengen, über den Haufen fahren, in Stücke schiessen; aber das wollen sie ja immer und ist nicht das Problem. Und selbstredend hat er zur Abwehr dessen ein paar halsbrecherische Manöver zum Kopfschütteln veranstaltet; aber auch das ist «business as usual» und nicht weiter der Rede wert. Was Bond wirklich und offensichtlich zu schaffen macht, ist die neuerliche emotionale Achterbahnfahrt, auf die ihn die Macher von «No Time to Die» hier geschickt haben. Wobei: Rauf gehts nur ganz kurz, wenn er mit Madeleine (Léa Seydoux), die er sich im Vorgänger «Spectre» angelacht hat, das Leben ausser Dienst zu geniessen trachtet, die Vergangenheit zu begraben gelobt, Pläne für eine unbeschwerte Zukunft schmiedet und eine Zeit herbeifantasiert, in der er nicht ständig über die Schulter schauen muss – «wir haben alle Zeit der Welt», meint er. Und danach: gehts runter und runter und runter. Ins Fegefeuer der Seele, ins Tal der Tränen, zu all den Traumata und Urängsten, an denen sich dieser vermenschlichte monogame Bond seit seinem Relaunch vor 15 Jahren abarbeiten muss und die ihn zu diesem versehrten und verhärteten, diesem wortkargen und trinkfreudigen Gesellen gemacht haben, bei dem rein gar nichts an seine schwerenöterisch, schelmen- und schlawinerhaft scharwenzelnden Vorgänger erinnert.

Meist vernünftig, manchmal albern

Wie auch immer man zu Craigs Eignung als Bond stehen mag – keine zwei Meinungen kann es darüber geben, dass die Reihe in seiner Ära ein ganz neues Niveau erklommen hat. Das wird nur schon wieder in diesem Prolog augenfällig, in den zudem quasi die Quintessenz des Bond-Mythos gegossen wurde. Das heisst auch, dass es zwischendurch mal albern werden darf – etwas, was aus den ersten beiden Craig-Teilen zur Gänze getilgt war und erst in den von Sam Mendes verantworteten Nachfolgern «Skyfall» und «Spectre» in Ansätzen wieder auflebte. Dass dies hier, in diesem in mancher Hinsicht fast schon wieder klassischen 25. Bond, nun anders ist, überrascht mit Blick auf den für Ernsteres bekannten Regisseur und Co-Autor Cary Joji Fukunaga («Jane Eyre», «True Detective») zunächst, leuchtet beim zweiten Hinsehen und dem Entdecken des Comedy-Hotshots Phoebe Waller-Bridge («Fleabag», «Killing Eve») im Autorenteam aber dann doch ein. Jedenfalls machen nicht nur die jeder Logik trotzenden Actionextravaganzen und das Wiedersehen mit dem schmalbrüstigen Tüftlernerd Q (Ben Whishaw) und seinen Gadgets Freude; es tut auch gut, zu sehen, dass Bond Witz und Ironie wiedergefunden hat, dass ihm all die Schicksalsschläge mithin nicht sämtliche Flausen ausgetrieben haben. Ja bisweilen wähnt man sich ob all der Scherzerei sogar in selige (oder unselige) Roger-Moore-Zeiten zurückversetzt. Aber die Momente des «Comic Relief» mit einer kubanischen Neo-Agentin (Ana de Armas) oder dem korrupten russischen Forscher (David Dencik) sind dann tatsächlich ein Rückschritt und stehen jeweils ziemlich quer in dieser moderneren, zeitgemässeren Bond-Landschaft, wo man nicht blind ist für aktuelle gesellschaftliche Strömungen, aber auch mal niederen Instinkten nachgibt.

Voller Coups und Twists

Wenn also Bonds alter CIA-Freund Felix Leiter (Jeffrey Wright) raunt, es werde wie in alten Zeiten, so hat er zumindest halb und insofern recht, als wieder eine gewisse Leichtigkeit eingekehrt ist, ein bisschen Fantasterei, und als das alles so episch ist wie ehedem: voller cleverer Einfälle und Coups inklusive eines monumentalen Schlussakkords und einer magistralen letzten Einstellung, mit zwar wohldosierter, aber ausschweifender und oft gespenstischer Action – im Schnee, im Nebel, in der Nacht, unter der Sonne, auf See, in der Luft und unter Wasser. Umgekehrt ist das auch wieder eine sehr angespannte Sache, in die der noch immer vergleichsweise vernünftige Bond nach dem Prolog mit einem Sprung fünf Jahre nach vorn schlittert: In dem voltenvollen, mit langen Ruhephasen gestreckten Plot, zu dessen Details sich das Studio aus gutem Grund und samt Hashtag (#NoTimeForSpoilers) Verschwiegenheit ausbedungen hat, geht es nicht nur um gewichtige Dinge unserer Zeit; den Bogen über die Craig-Saga spannend, wird es schnell auch wieder persönlich: M (spitze: Ralph Fiennes) ist in arger Klemme, Blofeld (klasse: Christoph Waltz) intrigiert aus der Klapse, der Psychopath Lyutsifer Safin (super: Rami Malek) lauert Madeleine auf, und eine junge dunkelhäutige Agentin (prima: Lashana Lynch) darf sich nun 007 nennen. Immerhin legt Bond in diesen dialogfreudigen, von Fukunaga formvollendet inszenierten Verwerfungen, die sich endlich zur markerschütternden Tragödie zuspitzen, eine erfrischende Sachlichkeit zur Schau und versinkt nicht vollends in Trübsal – was doch gerade zeigt, wie gut Craig über die Jahre in die Rolle reingewachsen ist. Und es offenbart auch, welch gereifter und gewiefter Mime er mittlerweile ist. «No Time to Die» ist denn auch mehr als das furiose, fulminante, fantastische Finale seiner Ära – das ist auch der persönliche Triumph des Daniel Craig.