von Sandro Danilo Spadini
Nürburgring, 1. August 1976: Es ist das zehnte Rennen der Saison, die Boliden stehen am Start. Gleich wird unter dem bleigrauen Himmel im Grand Prix von Deutschland Sportgeschichte geschrieben –
eines ihrer dunkleren Kapitel allerdings. Bis es so weit ist, erzählt uns Niki Lauda (Daniel Brühl) aber noch etwas: 25 Fahrer begännen jedes Jahr die Saison, 2 von ihnen stürben in deren
Verlauf. Wer sich so etwas antue? «Rebellen, Träumer, Verrückte.» Ihn freilich, den Champion mit dem selbst für Wiener Verhältnisse enormen Sarkasmus, werden wir anders kennenlernen: als
verbissen kalkulierenden Rennroboter mit einem Faible für das Technische, der einmal sagt, er mache das nur, weil er nichts anderes könne. Umso erstaunlicher ist es, dass er sich so sehr aus der
Fassung bringen lässt von diesem langhaarigen Playboy im McLaren. Die Rivalität mit dem Engländer James Hunt (Chris Hemsworth) geht indes bis auf die gemeinsame Zeit in der Formel 3 zurück. Und
in dieser Saison 1976 klebt Hunt ihm, dem amtierenden Formel-1-Weltmeister, im Heck seines Ferrari. Kein Wunder, wollte Hunt bei der Fahrerbesprechung nichts von Laudas Vorschlag wissen, das
Rennen am ohnehin viel zu gefährlichen Nürburgring wetterbedingt abzusagen. Und vielleicht deshalb lässt Lauda dieses epische Duell nun eskalieren an diesem Schicksalstag, «als ich ihn gejagt
habe wie ein Arschloch».
Paralleler Aufstieg
Die Auftaktsequenz von Ron Howards «Rush» dauert
kaum eine Formel-1-Runde, doch sie ist eine Verheissung. Sie ist das Versprechen, dass diesem Stück Sportgeschichte ein Stück Kinogeschichte entgegengestellt werden wird. Doch erst einmal müssen
wir verschnaufen, gibts quasi einen Boxenstopp – das wollen Howard («The Da Vinci Code») und sein Drehbuchautor Peter Morgan («The Queen») so. Wir werden an den Nürburgring zurückkehren,
selbstverständlich; zunächst aber sollen wir diese ungleichen Rivalen der Rennbahn verstehen lernen. Und dabei sollte man bei aller berechtigten Vorfreude ebenfalls achtsam sein. Denn wenn Howard
und Morgan den gleichzeitig verlaufenden sportlichen Aufstieg der beiden und manche Parallele in deren ansonsten so unterschiedlicher privater Entwicklung aufzeigen, ist das ebenfalls grosses
Kino. Zumal im Zuge dessen auch die eine oder andere schillernde Nebenfigur auftaucht: wie das Model Suzy Miller (Olivia Wilde), das Hunt am Tag von Laudas Unterschrift bei Ferrari ehelicht und
später an Richard Burton verlieren wird. Oder die gebürtige Venezolanerin Marlene Knaus (Alexandra Maria Lara), die Lauda nach einer Party bei Curd Jürgens trifft und nur ein Jahr später
heiratet. Nicht zu vergessen auch Lord Hesketh (Christian McKay), der Hunt in seinem Glamour-Rennstall zum Formel-1-Debüt verhilft, oder Clay Regazzoni (Pierfrancesco Favini), der seinem
Teamkollegen Lauda praktische Lebenshilfe gibt.
Nur noch Höhepunkte
All das ist hochinteressant und eine stimmungsvolle Schwärmerei für eine Zeit, als die Formel 1 noch ein bisschen Zirkus war und es echte Typen gab. Im Rückspiegel betrachtet ist es jedoch nur
ein Warm-up. Denn was jetzt kommt, ist Magie: Wie Howard diese an Dramatik nicht zu überbietende Saison 1976 aufarbeitet, ist ein dramaturgisches Kunststück. Und dass er das Geschehen auf der
Strecke so plastisch, packend, pulsierend einfangen würde, hätte man diesem für biederes Handwerk berüchtigten Regisseur niemals zugetraut: Wenn er Höhepunkt auf Höhepunkt jagt, die Story vom
Nürburgring über Laudas Comeback in Monza bis zum Regen-Finale in Fuji peitscht, dann mutiert der Volvo Howard zum Lamborghini; dann ist man hautnah dabei, sitzt im Cockpit, hat den Overall an,
den Helm auf, riecht das Benzin, den Gummi, den Angstschweiss. Laut geht es jetzt zu, und Hans Zimmer gibt auf der Tonspur ebenfalls alles. So wie Daniel Brühl in der Rolle seines Lebens. Nichts
weniger als Oscar-würdig ist es, wie der Deutsche – auch er eigentlich einer von der biederen Sorte – das Wiener Lästermaul mit dem Rattengesicht gibt. Allzu schmeichelhaft ist sein Porträt
freilich nicht. Doch Lauda erkennt sich in ihm offenbar wieder. In die Entstehung des Skripts war er nämlich involviert, und mit der österreichischen Frau von Peter Morgan ist er gut bekannt. Sie
war es auch, die ihren Mann, der gerade ein Filmprojekt über Jackie Stewart aus Spannungsmangel verworfen hatte, auf die unglaubliche Geschichte von 1976 brachte. Dass sich Morgan dann einige
Zuspitzungen und freie Erfindungen gönnte, ist für Lauda zulässig – zumal sich der Drehbuchstar zum Sportlichen jeweils bei ihm rückversichert habe und dieses damit akkurat geschildert werde. Und
dank feiner Details erhält es auch Tiefe: durch die Einblendung des WM-Zwischenstands etwa und einen kleinen technischen Exkurs; oder auch nur durch den Blick auf den am Streckenrand thronenden
Enzo Ferrari und den vertrauten Sound von Heinz Prüllers Stimme. Vor allem beweisen Morgan und Howard auch Chuzpe, indem sie die von ihnen gerade weitergestrickte Legende am ergreifenden Ende
dieser unsagbar mitreissenden 123 Minuten Weltklasse-Kino sogleich wieder entkräften: Dass sich Lauda und Hunt hassten, wie gerne und auch hier nahegelegt wird, davon kann keine Rede sein. Im
Gegenteil: Hunt sei einer der wenigen gewesen, die er gemocht habe, lässt Brühl Lauda sagen. Und einer der ganz wenigen, die er respektiert habe.