Zwischen tiefer Trauer und geplagtem Gewissen

Das von Regisseur Brad Silberling feinfühlig inszenierte und von einer hochkarätigen Besetzung fantastisch interpretierte Familiendrama «Moonlight Mile» ist ein Film mitten aus dem Leben.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Leben schreibt nicht nur die besten, sondern mitunter auch die traurigsten Geschichten: Im Jahr 1989 wurde die Freundin des damals noch unbekannten Regisseurs Brad Silberling von einem geistig verwirrten Fan erschossen. Über diese traumatische Erfahrung hat Silberling nun, mehr als ein Jahrzehnt später, einen sensiblen, leisen, aber aller Tragik zum Trotz durchaus auch humorvollen Film gedreht. Mit «Moonlight Mile» stellt der Jungregisseur nach «City of Angels» (1998), seinem wunderschönen Remake des Wim-Wenders-Klassikers «Himmel über Berlin», erneut seine Gabe unter Beweis, mit hohem formalen Geschick und ausgezeichneter Schauspielerführung grosse und wahrhaftige Gefühle abzubilden, denen nichts Prätentiöses oder Pathetisches anhaftet.

Orientierungsloser Held

Gänzlich frei von jeglichen Sentimentalitäten, dafür aber äusserst wirklichkeitsnah erzählt Silberling die anno 1973 angesiedelte Geschichte des jungen Joe (Jake Gyllenhaal), der nach dem gewaltsamen Tod seiner Verlobten gemeinsam mit deren Eltern (Dustin Hoffman und Susan Sarandon) seine Trauer zu bewältigen sucht. Jeder dieser drei Hauptfiguren setzt sich dabei auf seine ganz eigen Art mit dem Schicksalsschlag auseinander: Derweil der Vater den Schmerz verdrängt, sich in Arbeit stürzt und mit Hilfe einer Anwältin (Holly Hunter) für die gerechte Bestrafung des Mörders kämpft, verkriecht sich die Mutter, äusserlich gefasst, in Sarkasmus Trost suchend und sich in ihrer Situation frei von jeglichen gesellschaftlichen Verpflichtungen und Gepflogenheiten wähnend, in ihren eigenen vier Wänden. Joe ist den beiden unterdessen eine echte Stütze geworden, fühlt sich in dieser Rolle jedoch zusehends unwohler und unternimmt allmählich zaghafte Versuche, sich ihr zu entreissen. Dabei lernt er die forsche, aber schwermütige Bertie (die erfrischend aufspielende Newcomerin Ellen Pompeo) kennen und bald auch lieben, was seine Orientierungslosigkeit noch verschärft und sein geplagtes Gewissen ebenfalls nicht zur Ruhe kommen lässt.

Hochkarätige Besetzung

«Moonlight Mile» setzt erst am Tag der Beerdigung ein; der Tod wird nicht gezeigt, ist aber selbstredend immerzu präsent. Ganz anders, aber nicht minder feinfühlig als Todd Field in seinem thematisch ähnlichen Meisterwerk «In the Bedroom» (2001) nähert sich Silberling den zentralen Fragen seines Films: Verdrängung, Verantwortung, Substitution und die Unfähigkeit, mit Schmerz umzugehen. Die Stimmung ist weit weniger beklemmend, Tränen fliessen kaum, und wäre da nicht der traurige reale Hintergrund, läge bisweilen die Versuchung nahe, zu monieren, Silberling behandle seine Thematik nicht mit dem gebührenden Ernst. Doch die humorvollen Situationen des Films sind weder Zeichen von Zynismus noch dienen sie in Ermangelung berstender atmosphärischer Spannungen als «comic relief», sie sind vielmehr der Versuch, die Realität einzufangen, welche halt auch noch in den unpassendsten Momenten tragikomische Züge tragen kann. Bei der Bewältigung dieses Balanceakts kann sich Silberling nicht bloss auf sein feines Gespür, sondern auch auf sein Personal vor der Kamera verlassen. Mit Hoffman, Sarandon und Hunter konnte er gleich drei gut aufgelegte Oscar-Preisträger verpflichten. Sein bei uns noch weitgehend unbekannter Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal, Sohn des Regisseurs Stephen («Waterland) und Bruder der Schauspielerin Maggie («Secretary»), gehört überdies zu den begehrtesten Jungdarstellern Hollywoods. Für Aufsehen sorgte er erstmals 1998 in Joe Johnstons «October Sky» und vor allem drei Jahre später im Independent-Juwel «Donnie Darko». Seither ist er ein wenig auf die Darstellung von verwirrten, unergründlichen jungen Männern abonniert, wie er sie etwa auch in Nicole Holofceners warmherzigen Drama «Lovely and Amazing» (2001) oder in Miguel Artetas grossartiger Tragikomödie «The Good Girl» (2002) gespielt hat. «Moonlight Mile» setzt nun nicht bloss Gyllenhaals bislang beeindruckendes Schaffen fort, sondern ist auch ein Triumph für seinen Regisseur Brad Silberling, welcher weiterhin daran arbeitet, sich mit leisen Tönen und mit aufrichtigen, ungekünstelten und nicht zuletzt sehr schönen Filmen einen Namen zu machen.