Im Film der unbegrenzten Möglichkeiten

Der sechste Teil der «Mission: Impossible»-Reihe ist ein Actiongemälde und der beste Sommerblockbuster seit Jahren. Auch weil Tom Cruise darin macht, was sonst keiner kann: Tom Cruise sein.

 

von Sandro Danilo Spadini

Jetzt hat man doch gemeint, diesen Ethan Hunt (Tom Cruise) könne nichts umhauen; das sei der letzte Actionheld alten Schlages, von echtem Schrot und Korn, keck, kernig, knackig – und nun dies: Ein Albtraum von der längst absenten Gattin (Michelle Monaghan) eröffnet «Mission: Impossible – Fallout», Teil 6 der 1996 lancierten Reihe, und Hunt weiss hernach nicht, wie und was ihm da geschieht. Der wird uns jetzt doch nicht auch noch gefühlsduselig werden, wie der blonde Bond und der bullige Bourne. Einmal schütteln, und weiter gehts, oder? Aber nein, Hunt hat Ängste. Stutzt. Staunt. Stockt. Hat Gefühle. Ist, tatsächlich, ein Mensch. Und doch: Da steckt immer noch Tom Cruise drin. Kein Grund also, das Eine-Million-Dollar-Lächeln zu verlieren. Und wie er wieder grinst, der notorische Strahlemann und ewige Jungbrunnen: breit und beherzt; verschmitzt und verwegen. Tom Cruise halt. Und die Menschwerdung des Ethan Hunt? Kann warten. Jetzt muss, yep, die Welt gerettet werden.

Der gute Amerikaner

Das darf man hier sogar fast wörtlich nehmen. Denn was die Terrororganisation «Das Syndikat» gemäss dem apokalyptischen Manifest ihres Anführers John Lark will, ist «die Zerstörung der gegenwärtigen Weltordnung». Es sind hier mithin disruptive Kräfte am Werk, was ebenso einen Aktualitätsbezug heraufbeschwört, wie wenn der in Teil 5 weggesperrte Ex-Syndikat-Chef Solomon Lane (Sean Harris) krächzt: «Regierungen weltweit verfallen dem Wahnsinn.» Da hat er natürlich schon recht; aber so richtig unwahnsinnig sind er selbst und sein inkognito agierender Nachfolger Lark halt auch nicht. Dass der Plan, Rom, Mekka und Jerusalem atomar zu zerstören, noch um den Vorspann herum vereitelt werden konnte, hat sie nicht entmutigt. Schliesslich ist da immer noch dieser Koffer voll Plutonium. Den hätte Hunt ihnen in Berlin abluchsen sollen; er hat sich dann aber dafür entschieden, das Leben seiner Mitstreiter Benji (Simon Pegg) und Luther (Ving Rhames) zu retten. Menschlich, diese Entscheidung, um nicht zu sagen: allzu menschlich. Aber um ihre Konsequenzen zu tragen, ist nun wieder Übermenschliches von Hunt gefordert. Das führt ihn nach Paris, London, Kaschmir; bringt ihm mit CIA-Mann Walker (Henry Cavill) einen lästigen neuen Partner und mit dessen Chefin (Angela Bassett) eine altbekannte Gegenspielerin ein; lässt ihn näher zu seinem Boss (Alec Baldwin) rücken und eine «Weisse Witwe» geschimpfte Waffenhändlerin (interessant: Vanessa Kirby) kennen lernen; und vereint ihn unter einigem Knistern wieder mit der schwer durchschaubaren MI6-Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson). Im Zuge all dessen muss er weiterhin schwierige Entscheidungen treffen. Unmögliche Entscheidungen eigentlich. Aber er ist ja auf unmöglicher Mission. Das kommt schon gut. Und wie sagt Luther: «Er ist ein guter Mann.» Recht hat er. Ethan Hunt ist der gute Mensch von Amerika. Das sollten Lark und Lane nicht vergessen. Da können sie noch so oft blaffen, er solle sich geschlagen geben; diesmal habe er verloren.

Skalpell und Hammer

Ebenso wenig geschlagen geben muss sich sein Verkörperer im Vergleich mit dem 20 Jahre jüngeren Henry Cavill. Über ihre Figuren heisst es einmal, Hunt sei das Skalpell, Walker der Hammer. Das gilt durchaus auch für die Schauspieler: Der Superman-Star ist so hölzern, dass Cruise nie fürchten muss, dass ihm der Jungspund die Show stiehlt. Cruise wirkt ohnedies derart frisch, dass man meinen könnte, er trage eine dieser Masken, mit denen sie auch hier wieder Schabernack treiben. Am Schluss freilich, da ist auch sein Ethan Hunt müde. Das dann doch. Da muss er sich ausruhen. Hat er sich ja auch verdient nach einer Nervenschlacht, die wie damals bei Bond auch ein bisschen persönlich war; nach einer abermaligen Welttournee, deren Schauplätze zuletzt vielleicht einen Tick exotischer, exklusiver waren; nach einer erneut verwirrungs- und wendungsreichen Maskerade, die die Konsequenz (der «Fallout») aus den guten Taten des letzten Teils war; nach einem finalen Feuerwerk, das lang und laut und vor allem furios war; und endlich nach einem zweieinhalbstündigen Actiongemälde, das in der Inszenierung des ersten «M:I»-Regie-Wiederkehrers Christopher McQuarrie bisweilen zwar etwas barock geraten ist – das aber trotzdem nicht nur ein Meisterwerk und sowieso der beste Sommerblockbuster seit Jahren ist, sondern auch den Status von «M:I» als beste Actionreihe der Gegenwart untermauert. Nach alledem sind schliesslich auch wir platt und dürfen also feststellen: Selbst ein Tom Cruise wird nicht jünger. Älter indes auch nicht.