Und wieder irrt ein Amerikaner durch Paris

Die mit Kinozitaten gespickte Romanverfilmung «The Woman in the Fifth» gibt Rätsel auf. Und das ist mitunter sogar recht spannend – auch dank eines tollen Ethan Hawke in der Hauptrolle.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein polnischer Regisseur dreht in Paris mit einem amerikanischen Hollywood-Star ein vertracktes psychologisches Thrillerdrama: Wer jetzt «Roman Polanski» ruft, muss sich sicher nicht den Vorwurf gefallen lassen, das Kino nicht zu kennen. Und doch liegt er falsch. Der Mann, der hier gesucht wird, ist eine ungleich kleinere Hausnummer. Pawel Pawlikowski heisst er, und mit «The Woman in the Fifth» legt der gebürtige Warschauer gerade mal seinen vierten Spielfilm vor. Ein Niemand ist der einstige Literatur- und Philosophiestudent und spätere Dokumentarfilmer freilich nicht; doch ist es nun auch schon sieben Jahre her, dass er mit dem Teenagerdrama «My Summer of Love» das britische Filmestablishment in Verzückung versetzte. Von seiner Wahlheimat auf der Insel ist Pawlikowski nun also gen Festland gezogen: mit der formidabel Französisch parlierenden Engländerin Kristin Scott Thomas und besagtem US-Hollywood-Star Ethan Hawke im Gefolge, dem Roman «The Woman in the Fifth» des New Yorkers Douglas Kennedy im Gepäck und massenhaft Kinozitaten von – jawohl – Roman Polanski bis David Lynch im Gedächtnis.

Im Haus, im Kopf

Damit ist auch schon gesagt, was für eine Sorte Film das ist. Kompliziert ist es, mysteriös und nebulös, mit profaner Logik nicht zu knacken und eher erlebbar denn voll fassbar. «Du bist nicht normal», wird Rick (Hawke) von der Ex-Gattin denn auch geradezu programmatisch eröffnet, als er trotz richterlichen Verbots unvermittelt vor ihrer Tür steht. «Ich dachte, du seist im Gefängnis», meint wiederum die sechsjährige Tochter, derentwegen der Romane schreibende Literaturprofessor den Weg von Minnesota nach Paris gewagt hat. Er sei bloss ein bisschen krank gewesen, korrigiert Rick, ehe er die Polizeisirene hört und Fersengeld gibt. Erschöpft gönnt er sich ein Nickerchen im Bus. Als er aufwacht, ist das Gepäck weg. Und da werden wir doch gleich hellhörig: Wer in Filmen wie diesen schläft, transformiert ja gerne seine Träume in die Realität und richtet so ein heilloses Durcheinander auf der Erzählebene an. Und gestohlenes Gepäck? Ja das könnte jetzt etwas mit verlorener Identität zu tun haben. Überhaupt: Schon im Literaturunterricht in der Schule haben wir doch gelernt, dass das Haus die Persönlichkeit symbolisiert. Wenn hier also schon von aller Anfang an ein so grosser Wert auf die Inszenierung der Räumlichkeiten gelegt wird, dürfte das auf des Helden Oberstübchen abzielen. Filmisch fällt einem da spontan Polanskis «The Tenant» ein. Und als Rick dann einen seltsamen Job annimmt und dabei flirrende Tischlampen, knarrende Gegensprechanlagen und surrende Überwachungskameras ins Spiel kommen, schiesst einem Lynchs «Lost Highway» durch den Kopf. Mit Lynch hat es Pawlikowski ohnehin fast noch mehr als mit Polanski: Einmal präsentiert er uns nacheinander einen roten Vorhang, einen geometrisch gemusterten Boden, eine Eule – und führt uns so mal kurz nach «Twin Peaks».

Spannendes Spiel der Stars

Dieses Spiel mit Kinozitaten ist natürlich vor allem was für Filmverrückte. Sie werden sich sicher auch daran erinnern, dass es nur selten gut gekommen ist, wenn amerikanische Männer alleine durch Paris geirrt sind: Harrison Ford in «Frantic», Liam Neeson in «Taken» oder Robert De Niro in «Ronin» haben schliesslich eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. Ganz so doll kommt es hier indes nicht. Und die grossen Vorbilder Lynch, Polanski oder auch Antonioni bleiben sowieso unerreicht. Gleichwohl ist er nicht ohne Allgemeinreiz, dieser optisch ansprechende 80-Minüter voller Widerborstigkeiten und Ungereimtheiten. Ethan Hawke etwa spielt tapfer gegen die Meinung an, er sei noch immer ein zu leichtgewichtiger Bursche, um einem Film das nötige Gewicht zu verleihen; Kristin Scott Thomas ihrerseits versucht als geheimnisvolle und vielleicht nicht mal reale Frau aus dem fünften Arrondissement das Urteil zu widerlegen, eine allzu spröde Dame zu sein. Wie die beiden das tun, ist fraglos spannender als all das Wenige und Vage, was an Handlung geboten wird. Aber eben: Der wahre Film läuft hier sowieso im Kopf ab.