Holzhammer-Hokuspokus

Mit seinem US-Debüt «Gothika» vermag Mathieu Kassovitz dank vordergründiger Gruseleffekte zwar mitunter Gänsehaut zu erzeugen, doch das Stirnrunzeln ob dem wirren Drehbuch überwiegt.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Logik wird überbewertet», raunt die zum Äussersten entschlossene Figur von Halle Berry gegen Ende des Horrorthrillers «Gothika» ihrem verdutzten Gegenüber zu. Aha, denkt sich der bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon reichlich verdutzte Zuschauer und fragt sich, ob er dies denn als ironischen Selbstkommentar von Drehbuchautor Sebastian Gutierrez werten darf; denn schliesslich hat die konfuse Handlung zuvor zur Genüge versucht, schlagende Argumente für das launige Dogma zu liefern, dass im Prinzip auch von Alfred Hitchcock stammen könnte. Vor dessen Name kann naturgemäss keine Diskussion über Logik im Kino Halt machen, zumal selbst die ganz grossen Werke des «Master of Suspense» sich kaum je selbiger fügten. Hitchcocks Genialität bestand aber nicht zuletzt darin, dass sich das Publikum ob dem nach allen Regeln der Kunst aufgebauten Spannungsbogen der kratergrossen Löcher des Drehbuchs gar nicht erst bewusst wurde. Auf die Macht der Bilder und die alles für sich einnehmende Kraft des Nervenkitzels hat wohl auch Gutierrez spekuliert. Doch leider erweist sich «Gothika»-Regisseur Mathieu Kassovitz bestenfalls als Westentaschen-Hitchcock, der sich dem ganzen Logikproblem in nur wenig sachdienlicher Weise anzunehmen versteht.

Geplagte Seelen

Erzählt wird die Geschichte der Kriminalpsychologin Miranda (Berry), die eines Morgens inmitten ihrer Patientinnen (u. a. Penélope Cruz) in einem ungastlichen Frauengefängnis aufwacht und mit dem Vorwurf konfrontiert wird, sie habe ihren Ehemann auf bestialische Weise ermordet. Praktischerweise wird die Behandlung der höchst Verwirrten gleich von einem Kollegen (Robert Downey Jr.) übernommen, der, obwohl seit je sich zu ihr hingezogen fühlend, auch nicht wirklich bezweifelt, dass Miranda die Bluttat begangen hat. Einzig das Motiv bleibt vorerst im Dunkeln, doch allmählich verdichten sich die Bilder in Mirandas Kopf zu einem seine Fühler offenbar nach der Vergangenheit ausstreckenden Ganzen. Nicht zur Ruhe findende Seelen und dunkle Mächte aus längst vergangenen Tagen scheinen ihre eiskalten Hände im Spiel gehabt zu haben, doch was das alles zu bedeuten hat, fragt sich nicht bloss Miranda.

Kein eigener Stil

Mit dem packenden Sozialdrama «La haine» hatte der auch vor der kinematografischen Linse agierende französische Regisseur Mathieu Kassovitz, der einst Amélie in Montmartre bezirzte, vor rund neun Jahren ein fettgedrucktes Ausrufezeichen innerhalb des europäischen Filmschaffens gesetzt. Vor vier Jahren dann verschrieb sich Kassovitz dem Mainstream und inszenierte mit «Les Rivières pourpres» einen Kassenschlager, der sich derart dreist an amerikanischen Vorbildern wie «Seven» oder «The Silence of the Lambs» orientierte, dass die vollkommen sinnfreie Handlung schon gar kein Ärgernis mehr darstellte. Auch für sein US-Debüt hat sich Kassovitz nun wieder einiges von den Amerikanern abgekuckt; am deutlichsten sticht dabei der Horrorschocker «The Ring» heraus, an welchen sich «Gothika» nicht bloss inhaltlich und – eine Schwäche für elegante, stimmige Blautöne offenbarend – optisch, sondern gar akustisch anlehnt. Einen eigenen Stil zu entwickeln, hält Kassovitz frei nach dem Motto «Originalität ist überbewertet» anscheinend für unnötig; immerhin schafft er aber eine zweifelsohne dichte Atmosphäre und wartet er mit einigen sehr wohl von Talent zeugenden Prachtsaufnahmen auf. «Eye candy», nennt der Amerikaner das und impliziert damit meist Defizite auf anderer Ebene. Der Defizite sind in «Gothika» ungeachtet aller Augenverwöhnungselemente denn auch viele, so etwa die plumpe religiöse Symbolik, eine über weite Strecken auf eine «Scream Queen» reduzierte Halle Berry und eben die wirre Story inklusive einer taschenspielertrickmässigen Auflösung. Trotzdem erzeugt der zwischen Horror und Thrill nicht das rechte Gleichgewicht findende, bisweilen trashige Züge annehmende Mumpitz mittels vordergründiger Holzhammer-Gruseleffekte bisweilen Gänsehaut und lässt das Blut in den Adern vielleicht nicht gerade gefrieren, aber doch merklich abkühlen. Vorherrschende Körperreaktion ist aber freilich das Stirnrunzeln, was Kassovitz, Gutierrez und auch Oscar-Preisträgerin Berry letztlich doch ziemlich dumm dastehen lässt.