Gefühl vor Technik

Von Sandro Danilo Spadini

Im Nominierungsverfahren hatte die Academy noch manch unsinnigen Entscheid getroffen. Bei der Vergabe der Trophäen jedoch bedachte sie die übrig gebliebenen Günstlinge von Presse und Publikum mit erstaunlicher Konsequenz. Dass es am Ende zum Triumph von «Slumdog Millionaire» gekommen ist, konnte und durfte erwartet werden; der Film von Danny Boyle war seinen Mitbewerbern sowohl in den Prognosen als auch von der Güte her um Längen voraus. Mit der Bevorzugung des Indien-Märchens gegenüber dem eigentlich weit Oscar-tauglicheren Nominierungskönig «The Curious Case of Benjamin Button» hat die Academy aber auch neue Töne angeschlagen. Sie hat nicht nur den schlicht besseren, sondern auch den moderneren Film gewählt; sie hat nicht nur den aufrichtigeren, sondern auch den provokativeren Film gewählt; und sie hat – alles entscheidend – dem Gefühl den Vorzug vor der Technik gegeben. Mit Danny Boyle hat sie ausserdem einen Vertreter einer neueren Generation von Filmemachern in den Olymp gehievt, die gerade dieses Jahr geprägt haben und denen die Zukunft gehört. Sein mitnichten minder veranlagter Hauptkonkurrent David Fincher muss sich derweil noch gedulden, er wird Boyle aber zweifellos bald dorthin folgen. Gar zum zweiten Mal in kürzester Zeit geehrt wurde Sean Penn. Er galt schon vor seiner verblüffenden Verwandlung im Biopic «Milk» als einer der grössten Künstler Hollywoods und hat nun mit der besten Leistung seiner Karriere nochmals einen draufgesetzt. Penn hat uns dieses Jahr auf der Leinwand einen unvergesslichen Auftritt geschenkt, uns im Kodak Theatre aber auch um einen mindestens so denkwürdigen Moment gebracht: Indem er den in «The Wrestler» in seiner Rolle vollständig aufgehenden und unfassbar berührenden Mickey Rourke ausstach, verhinderte er die finale Krönung eines der härtesterkämpften Comebacks der Filmgeschichte. Hier hat die Academy also der Kunstfertigkeit den Vorzug vor der Authentizität gegeben. Das ist akzeptabel, wenn auch unendlich schade. Denn so blieb die hochverdiente postume Ehrung Heath Ledgers der einsame emotionale Höhepunkt eines Abends, an welchem eine gut gelaunte Filmindustrie ein an Höhepunkten sehr armes Kinojahr Revue passieren liess.