Der Russe ist zurück – und noch immer böse

In «Creed II» treffen der junge Boxer Adonis und sein Trainer Rocky auf ein Gespenst aus der Vergangenheit. Zeit für harte Schläge und grosse Gefühle – und für verblüffend intime Momente.

Warner Bros.

von Sandro Danilo Spadini

Eben noch hatte er getänzelt und geschäkert, und dann sank er darnieder auf die Bretter. Apollo Creed, der Weltmeister im Schwergewicht von ehedem, war aber nicht einfach k.o. Apollo Creed war tot. Ausgelöscht vom russischen Zerstörer Ivan Drago. «Wenn er tot ist, ist er tot», philosophierte der hernach bündig, und das machte ihn auch nicht gewinnender. Aber es stachelte unser aller Held umso mehr an, bei der Revanche die gerechte Rache in ihn hineinzuprügeln. Und so brach Rocky Balboa auf gen Moskau – zum Kampf des Jahrhunderts, bei dem nicht nur ein Mensch und eine Maschine, sondern zwei Welten kollidierten: Natur vs. Labor. Kapitalismus vs. Kommunismus. Gut vs. Böse. USA vs. Sowjetunion. Und bei Gott: Die grundguten, naturgläubigen und kapitalismusseligen Amerikaner gewannen diesen Kampf. Derart vernichtend schlugen sie den Ivan, dass nach dieser Mutter und Babuschka aller Schlachten sogar die Apparatschiks aufschnellten und applaudierten. Und jetzt? Jetzt ist dieser Ivan Drago (Dolph Lundgren) tatsächlich wieder da. 33 Jahre nach «Rocky IV» ist der Russe zurück. Mit dem Sohn im Schlepptau steht er vor den Toren Philadelphias, und es wirkt nicht so, als hätte er die Schmach von Mitte der Achtziger schon verdaut.

Kein Underdog mehr

Und tatsächlich: Als er Rocky (Sylvester Stallone) in der Trattoria einen Fight zwischen dessen Schützling Adonis Creed und seinem Sohn Victor schmackhaft machen möchte, meint er, für ihn fühle sich das alles an, als sei es gestern gewesen. «Deinetwegen habe ich alles verloren: Land. Respekt. Frau.» Rocky, der alte Stoiker, der mit sich im Reinen ist, zuckt da nur mit den Schultern. Alles Schnee von gestern. Und ein Fight Creed vs. Drago in zweiter Generation? Davon hält er nichts. Denn Rocky hat damals zwar Drago besiegt, nicht aber die Gespenster, die der Russe gerufen hatte. Und Adonis (Michael B. Jordan) ist jetzt zwar kein Underdog mehr, sondern ein Star, ein Superstar gar, Weltmeister im Schwergewicht und nach der Verlobung mit Bianca (Tessa Thompson) auch privat gefestigt. Doch für einen Kampf gegen den Sohn des Schlächters seines Vaters – «er ist ein Monster», heisst es – sieht er ihn trotzdem nicht gewappnet. Natürlich ist Adonis anderer Meinung, und natürlich steigt er auch ohne Rocky in seiner Ecke gegen Victor (Florian Munteanu) in den Ring. Und was dort in diesem Psychoduell passiert und was im Anschluss daran passiert, muss man jetzt ja nicht wirklich ausbuchstabieren – zumal sich «Creed II»-Regisseur Steven Caple Jr. wie Vorgänger Ryan Coogler, der 2015 das Spin-off fulminant angestossen und sich mittlerweile in die grosse, laute Welt der Superhelden abgesetzt hat, fast hörig dem Evangelium nach Rocky unterjocht. Das freilich macht – trotz originalgetreu grotesk harter Boxeinlagen – durchaus den Charme dieser Franchise aus. Ein wenig pathetisch mag dieser sein, gewiss. Vor allem aber ist er rau und philadelphiagrau. Und genau dieses Ungeschliffene, das Coogler und Caple Jr. von ihren Anfängen im Indie-Sektor rübergerettet haben, dieses Authentische ist es, was die «Creed»-Reihe eine so freudige Sache macht.

Jordan in Hochform

Und dann sind da noch all die Spielereien: Tessa Thompsons Elektro-Soul-Songs; der Auftritt von Stallones Ex und «Dschungelkönigin» Brigitte Nielsen als Dragos entfremdete Frau; die umgekehrten Vorzeichen, wenn es auf einmal Drago ist, der seinen Schützling durch die Strassen scheucht; oder halt auch, dass es irgendwie in unsere seltsame Zeit passt, dass plötzlich der Russe wieder da und noch immer böse ist. Diesem vermag Dolph Lundgren zwar nicht dieselbe rührende Tiefe zu verleihen, wie Stallone das bei der vor drei Jahren sogar Oscar-nominierten Reinkarnation seiner Herzensfigur tut; und man hatte sich denn auch nicht zu weit über die Seile gelehnt, als man orakelte, dass es dem vierschrötigen schwedischen Grobmotoriker eher nicht für einen Flirt mit dem Goldmann reichen würde. Aber in den zwei, drei Momenten, wo es drauf ankommt, macht er, mimisch minimalistisch, dann trotzdem das Richtige. Und leistet so allen Unkenrufen zum Trotz seinen Beitrag, dass dieses gewagte Unterfangen, ausgerechnet auf dem tumben «Rocky IV» eine nuancierte und heutige Story aufzubauen, voll aufgeht. Keine Bedenken in diese Richtung musste man ja bei Michael B. Jordan hegen. Dieser meistert hier wie erwartet nicht nur die harten Schläge, sondern erneut auch die grossen Gefühle souverän. Und das gerade auch in den verblüffend vielen ruhigen, ja intimen Szenen. Ein wahrer Champ halt! Rocky darf stolz sein.