Eine heisse Agentin wärmt den Kalten Krieg auf

Actionspezialist Phillip Noyce setzt in «Salt» auf handgemachte Action und die Starpower von Angelina Jolie. Das zahlt sich trotz riesigen Logiklöchern durchaus aus.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist wohl kein Balanceakt draussen auf den Ästen, wenn man hinausposaunt, Angelina Jolie sei die berühmteste Schauspielerin der Gegenwart. Mit gleichem Recht lässt sich freilich konstatieren, dass dies eher wenig mit ihrer Schauspielerei und noch weniger mit den von ihrer Präsenz beglückten Filmen zu tun hat. Denn Jolie ist nicht nur ein ganz heller Stern am Hollywood-Himmel, sondern recht eigentlich auch ein ziemliches Kassengift: «Wanted»? «Changeling»? «Beowulf»? «A Mighty Heart»? «The Good Shepherd»? Der Buchhalterblick auf ihre jüngsten Verrichtungen ist ein finsterer – und der Cineastenblick ist auch kaum wohlwollender. Kurzum: Madame Jolie hätte mal wieder einen Hit nötig.

Agentin mit Schmerz

Mit dem Agententhriller «Salt» könnte das nun klappen – die Box-Office-Zahlen aus den USA hellen den Buchhalterblick jedenfalls so sehr auf, dass die Chancen für das schon präventiv geplante Sequel intakt sind. Ein Nachklapp bietet sich auch eingedenk des offenen Endes an, und aus Cineastensicht wiederum ist dagegen ebenfalls nix einzuwenden. Der vom australischen Action-Routinier Phillip Noyce («The Saint) verantwortete Streifen hat nämlich was. Die Story etwa ist ein herrlicher Unfug und dient in lässigster Genrelogik als blosse Startrampe zu allerlei ballistischem und akrobatischem Spektakel: Man ist in einem CIA-Quartier, als sich der Ex-Leiter eines Sowjet-Spionageprogramms (Daniel Olbrychski) den Amerikanern als Überläufer andient. Was er seiner sehr skeptischen Interviewpartnerin Evelyn Salt (Jolie) zu erzählen hat, hört sich an wie «The Bourne Identity» im Wodkarausch: Man habe damals in den Siebzigern russische Kinder amerikanisch erzogen, sodass sie nach ihrer Verfrachtung in die USA dort als Einheimische durchgingen und dergestalt als perfekte Schläfer stoisch auf den Auftrag gegen den Feind warten konnten. Der Feind ist seit ein paar Jährchen zwar irgendwie weg, doch nichtsdestotrotz sei besagter Auftrag jetzt rausgegangen. Man plane, den russischen Präsi auf US-Boden zu killen und die Schuld dafür den Amis zuzuschieben. Die erhoffte Folge: ein nukleares Tohuwabohu fast 40 Jahre nach den ersten, aha, SALT-Verträgen. Na ja, denkt sich auch Salt und hat jetzt genug von dem tattrigen Überläufer. Soll der doch einen anderen zutexten mit diesem Humbug – schliesslich hat sie noch ein Date mit ihrem Gatten (übel: August Diehl) und ohnehin vor, sich von der Aussenagentin zum Bürogummi umfunktionieren zu lassen. Schon im Türrahmen stehend, trifft sie dann aber der Keulenschlag: Das Attentat werde von einer gewissen Evelyn Salt ausgeführt, grunzt der Russe, und bereits im übernächsten Moment rennt just diese ihren Kollegen davon – zerzaust, zerkratzt und aufgerieben von der Sorge um den abhandengekommenen Gemahl.

Jolies Sololauf

Nun erst, nach vielen actionlosen Minuten, geht es ab. Die Lage scheint so klar wie klassisch: eine Unschuldige auf der Flucht vor den Gemeinen sowie denen, die es nicht besser wissen, und dabei sowieso bemüht, den Reputationsverlust wettzumachen – kennen wir. Wie sich jedoch weist, ist Frau Salt fast ein bisschen eine Matrjoschka: In praktisch jeder Szene schält sie sich aus der eben präsentierten Persona heraus und erscheint als ideologisch neu ausgerichtete Puppe. Das Rätseln darüber, auf welcher Seite Salt jetzt Himmelherrgott noch mal steht, bietet denn auch amüsante Zerstreuung zwischen den in rauer Menge dargebotenen und Physikgesetze schnöde verpönenden Verfolgungsszenen. Dass Noyce bei deren Inszenierung mehr auf Handarbeit setzt und den Computer auf Stand-by laufen lässt, ist sympathisch altmodisch. Noch gekonnter spielt er indes seine andere starke Karte, die Trumpfdame. Angelina Jolie lässt er Angelina Jolie sein und schickt sie – hinweg über die Plot-Löcher und vorbei an den Spalier stehenden Restposten-Co-Stars – auf einen stürmischen Sololauf. Auf diesem darf sie gut ausschauen, etwas Russisch sprechen und am Laufmeter Kerle vermöbeln – das passt. Von solch einer heissen Agentin lässt man sich den Kalten Krieg gerne aufwärmen. Und sei das Comeback der Russen als Filmbösewichte noch so gaga.