Axt im Haus statt Schere im Kopf

Jake Gyllenhaal setzt im Drama «Demolition» seine Serie fort und zementiert seinen Status als Schauspieler der Stunde – er wird dabei aber erneut Opfer eines ungenügenden Skripts.

 

von Sandro Danilo Spadini

Und jetzt wollen nicht mal diese dämlichen M&M’s aus dem Automaten kommen. Nein wirklich, jetzt reichts. Jetzt hat Davis (Jake Gyllenhaal) genug. Ausrasten wird er zwar noch nicht gleich; noch hat er seine Gefühle im Griff, so wie er seine Gefühle stets im Griff hat, dieser emotionale Krüppel. Und ausserdem ist erst vor zehn Minuten seine Frau (Heather Lind) gestorben; da ist es vielleicht nicht der Zeitpunkt, einen Riesenradau zu machen wegen eines verschluckten Dollars. Doch bald wird er sich hinsetzen und einen Brief an die Automatenbetreiber-Bude schreiben. Einen langen Brief. Einen ausführlichen. Er wolle gründlich sein, schreibt er darin, und fängt deshalb mal von vorne an: Er stehe jeden Tag um 5.30 Uhr auf, um den Zug nach Manhattan zu nehmen, wo er in der Investmentfirma seines Schwiegervaters Phil (Chris Cooper) arbeite. Phil möge ihn nicht, wohl weil er, Davis, aus Jersey komme. Er wiederum hält nicht viel vom Job: «alles nur Zahlen». Ach ja, und seine Frau habe er nie geliebt. «Ich glaube, ich habe nicht gewusst, wer sie wirklich war.» Er fühle nun keinen Schmerz. Und deshalb geht das Leben jetzt vorerst weiter. Als ob nichts wäre.

Zurück auf Start

Davis aus Jean-Marc Vallées schrulligem Drama «Demolition» hat also kein Patenkind in Afrika zum therapeutischen Schreiben wie einst Jack Nicholson in «About Schmidt». Dafür wird sein Verhalten zusehends erratisch. Er fängt an, Dinge auseinanderzunehmen: den Kühlschrank, den PC, die Cappuccinomaschine, die WC-Kabine und bei alledem, schon klar, sein Leben. «Nur noch ich und meine Werkzeuge», sagt er, aber stimmen tut das nicht. Denn da ist etwa ab Filmmitte auch noch Karen (Naomi Watts). Sie ist die Frau im Kundenservice beim Automatenbetreiber und ruft Davis nach dessen viertem Brief mal an. Auch ihr Leben ist gerade nicht auf Kurs, vielleicht liegts am vielen Kiffen («ich habe ein Rezept», sagt sie, aber das ist gelogen). Oder vielleicht ist sie einfach nicht der das Leben im Griff habende Typ. Jedenfalls klappt das gleich gut mit Davis, ein bisschen wie bei Bradley Cooper und Jennifer Lawrence in «Silver Linings Playbook». Doch dann hat Regisseur Jean-Marc Vallée («Dallas Buyers Club») andere Pläne. Er schiebt Karen weg und stellt ihren Teeniesohn Chris (Judah Lewis) ins Zentrum. Mit ihm geht Davis nun auf Demolierungstour. Haut alles kurz und klein, bis er fix und fertig ist und frei von den Zwängen seiner verlogenen White-Collar-Existenz: schweissgetränkt zurück auf Start, so wie Reese Witherspoons an Leib und Seele geschundene Wanderin in Vallées letztem Film «Wild». Vielleicht hat Janis Joplin das damals ja falsch gedacht, als sie wehklagte, Freiheit sei doch nur ein anderer Begriff dafür, dass man nichts mehr zu verlieren habe. Vielleicht ist man eben erst dann wirklich und wahrlich frei, wenn alles weg ist. So immerhin scheint es Davis zu sehen, so behauptet das der metaphernschwere Film. Erlösung durch Zerstörung: Eine Dekonstruktion ist das nicht gerade, so hoch greift Vallée nicht. Nein, «Demolition», Demolierung, das passt schon.

Nichts mehr zu sagen

Die Trauerarbeit, die einer nicht zu leisten imstande ist, das wäre doch ein Thema. Eines obendrein, in dem sich Jake Gyllenhaal seit dem Drama «Moonlight Mile» auskennt. Lang ists her, 14 Jahre, und Gyllenhaal war da noch ein anderer, ein unfertiger Mime. Zum Manne geworden, sozusagen, ist er erst vor zwei Jahren, als er in «Nightcrawler» den Psycho rausholte. Und in «Southpaw» als Boxer war er dann gar noch besser. Seinen Status als spannendster «Leading Man» seiner Gewichtsklasse zementiert er hier nun – wird dabei aber erneut Opfer eines dürftigen Skripts. Zu verantworten hat dieses mit Bryan Sipe ein Mann, der sich damit lediglich für eine Nicholas-Sparks-Adaption («The Choice») empfahl. Was man ihm vorhalten muss, ist zweierlei: Er arbeitet zu wenig an seinen Figuren; und er hat ab Filmmitte nichts mehr zu sagen. Die Katharsis wirkt so anders als bei Witherspoon in «Wild» aufgesetzt, aufgepfropft, wiewohl Regisseur Vallée gleich verfährt wie dort: mit schnellen schrägen Schnitten, stillen Flashbackschnipseln, dem sporadischen Hammerschlag, dem staubtrockenen Witz, dem sensiblen Sympathiensammeln und einer Lakonie und einem Shabby-Chic-Stil, die so sehr für unsere Zeit taugen. Doch in der planlosen zweiten Hälfte mit ihren billigen Tricks und Twists bleibt auch davon nicht mehr viel übrig. Schade eigentlich.