Und ewig leidet Amerika

«Mr. Robot»-Schöpfer Sam Esmail wagt sich im Endzeit-Thriller «Leave the World Behind» an die ganz grossen zeitgenössischen Gesellschaftsfragen. Er tut dies aber etwas behäbig und umständlich – und schafft es trotz üppiger Laufzeit, gut aufgelegtem Ensemble und allerlei Kamerakapriolen am Ende nicht, etwas Neues oder Profundes zu sagen.

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Amerika ist am Arsch. Man kann das nicht anders sagen. Und man kann es eigentlich auch gar nicht mehr anders sehen – zumindest dann nicht, wenn man für halbwegs bare Münze nimmt, was Hollywood und seine anverwandten Orte in letzter Zeit zu diesem Thema zu sagen hatten. Nach Jahren des Trump-Terrors herrscht Endzeitstimmung auf Leinwand und Bildschirm. Atompilzen gleich schiessen Filme und Serien aus der hassverbrannten Erde, die von Verschwörungen künden, über Massenmanipulationen raunen, einen Bürgerkrieg heraufbeschwören. Wie bei dem grotesken realen Trauerspiel, das einfach nicht enden will, möchte man allmählich auch bei diesen fiktiven Schwarzmalereien nicht mehr hinschauen – so abstossend ist die Wirklichkeit inzwischen, dass Realitätsflucht die einzige Option scheint, und zu angewidert und abgestumpft ist man mittlerweile, als dass man sich das auch noch freiwillig in überzeichneter filmischer Form zumuten möchte. Und trotzdem schafft man es nicht immer, sich abzuwenden, und klebt bisweilen an dem Medium mit dem unseligen Geschehen – fast so wie bei einem schrecklichen Autounfall, wo man im Grunde seines Herzens weiss, dass man das lieber nicht sehen möchte. Denn dann und wann kommt ein Film, der eine so vereinnahmende Story hat, kommt eine Serie, die eine so verblüffende Idee hat, dass man doch wissen will, wie es ausgeht – so wie unlängst etwa die wenig beachtete Serie «Rabbit Hole» oder womöglich demnächst Alex Garlands Film «Civil War». Der von «Mr. Robot»-Schöpfer Sam Esmail inszenierte Thriller «Leave the World Behind» könnte ebenfalls so ein Werk sein – und dass er dies am Ende nicht ist, das ist dann doch eine rechte Enttäuschung und angesichts seiner ausgezeichneten Ausgangslage nachgerade fahrlässig.
 
Klopf, klopf, der Hausherr ist das
 
Die sich über stolze 138 Minuten erstreckende Handlung von Esmails zweitem Kinofilm, den sich Netflix unter den Nagel gerissen hat, beginnt harmlos genug. Die Werbefrau Amanda (Julia Roberts) überrumpelt ihren Professorengatten Clay (Ethan Hawke) eines sonnigen Morgens mit der Durchsage, sie habe fürs Wochenende eine wunderschöne Airbnb-Villa auf Long Island gemietet. Clay ist begeistert, schliesslich habe man schon ewig keine Ferien mehr mit den Kids gemacht; und auch die beiden Teenager Rose (Farah Mackenzie) und Charlie (Archie Sandford) sind offen dafür, die paar Meilen vom heimischen Brooklyn an den Strand zurückzulegen. Dort angekommen, schlägt die Laune der vier sogar in Hochstimmung um: Das Haus ist tatsächlich sehr schmuck, der Swimmingpool einladend, die Organisation top; und auch wenn der Schrank mit dem richtig guten Sprit abgeschlossen ist, lässt der mit Champagner und allerlei Leckereien gefüllte Geschenkkorb auf der Kücheninsel einen doch wohlig willkommen fühlen. Derart gut drauf ist die sonst so griesgrämige Amanda, dass sie ihrem Gatten sogar eine Schachtel Zigaretten mitbringt. Und ja, ein Schäferstündchen gibts noch obendrauf. Von Dauer ist die relaxte Stimmung indes nicht; nach 15 Filmminuten dreht sich der zarte Wind und verkehrt sich in eine steife Brise, als ein massiver Öltanker den Strand verwüstet. Und als die dergestalt Verstörten ins Haus ihrer Träume zurückkehren, müssen sie feststellen, dass nichts mehr funktioniert: kein WiFi, kein Handyempfang, kein TV-Signal. Für Rose ist das eine Katastrophe – sie wollte just die letzte Folge von «Friends» auf dem iPad kucken und kriegt jetzt Zustände, weil sie nicht rauskriegt, wie das alles geendet hat. Amanda und Clay hingegen rüttelt auf, dass es spätabends an der Tür klingelt und vor selbiger ein überaus gross gewachsener schwarzer Mann (Mahershala Ali) mit seiner Tochter (Myha’la) steht und um Einlass bittet – um Einlass in sein Haus, wie er behauptet und wie er vor allem die stets so misstrauische Amanda mit sanfter Stimme und in höflichem Ton zu überzeugen sucht. Sie seien in der Oper gewesen, als alle Lichter ausgegangen seien, erklärt der Gentleman im Smoking: Ein echter Blackout sei das, und sie wollten sich nun hier quasi in Sicherheit bringen. Aber sicher doch, meint der treuherzige Clay. Moment, zischt in schnippischer Weltuntergangsstimmung die Menschenhasserin Amanda und zweifelt mit kaum zu überhörendem rassistischem Ressentiment an den guten Absichten der nächtlichen Besucher, die man nach langem Hin und Her dann aber doch reinlässt. Und ab da wird es nun richtig seltsam und ist endlich alles angerichtet für einen Plot, der früher mal wohl in einer Gruselgeschichte im «Twilight Zone»-Stil gemündet hätte. Aber heute? Ja, eben…
 
Eindimensionale Plaudertaschen
 
Dass da was kommt, was Komisches, Kurioses, Krudes, und dass hier etwas nicht stimmt oder bald nicht mehr stimmen wird – das hat sich schon lange zuvor an den unnatürlichen Verrenkungen und Kapriolen der Kamera ablesen lassen, die mal weit weg von den Figuren verharrt, dann hoch über ihnen spioniert oder einfach in ihrem Rücken herumlungert; man hat es aber auch aus der vor Vorboten des Unheils wimmelnden und wummernden und veritable Siebzigerjahre-Paranoia verströmenden Tonspur heraushören können; und ach ja, dann waren da auch noch diese Hirsche im Garten. Dass sich das gleich in einen «nationalen Notstand» auswachsen würde, wie eine Einblendung am TV bald offenbart – das hatte man vielleicht nicht auf dem Schirm, hätte man aber ahnen können oder eingedenk des Zeitgeists sogar müssen, und zwar schon nach der stylischen Vorspannsequenz, die uns im Übrigen auch noch kundtut, dass hier niemand Geringeres als Barack und Michelle Obama als ausführende Produzenten gewaltet haben. Eine gewisse Anspannung ist in der Verfilmung von Rumaan Alams gleichnamigem Roman jedenfalls von Beginn weg da. Aber bis es dann tatsächlich unangenehm und einem zusehends mulmiger wird, dauert es eine schöne Weile, während der Regisseur Esmail einen zu überzeugen versucht, dass sich diese Anspannung dann schon noch in Spannung wandeln werde. Und weil er, wiewohl das alles schneidiger und stimmiger sein könnte, das so nachdrücklich tut und eine Ahnung von etwas Grösserem, Profunderem in der Luft liegt, bleibt man an Bord und wird prompt mit ein paar zündenden Einfällen und gerissenen Effekten dafür belohnt. Wenn sich dann aber auch in der zweiten Hälfte, wo man weiss, dass es sich bei den stetig eskalierenden irritierenden Vorkommnissen mitnichten um ein «grosses Nichts» handelt, wie zuvor noch orakelt wurde, sondern um einen Cyberangriff auf Amerika – von wem auch immer; wenn sich also auch jetzt, wo das anvisierte Unbehagen da ist, die Szenen wie Kaugummi in die Länge ziehen und die Figuren in endloses pseudophilosophisches Palaver verfallen, das sie freilich immer noch nicht aus der Eindimensionalität zu heben vermag: Ja dann dämmert es einem, dass die Geduld nicht vollends belohnt werden wird, gerade so, wie sie bei Noah Baumbachs gleich langer, ähnlich gelagerter und nicht minder ambitionierter Don-DeLillo-Verfilmung «White Noise» (2022) nicht restlos belohnt worden ist. Erinnert fühlt man sich stattdessen immer wieder an M. Night Shyamalans «The Happening» (2008), und das ist jetzt aber wirklich nichts, was man anstrebt: an einen M.-Night-Shyamalan-Film zu erinnern. Wobei: Wie dieser längst nur mehr belächelte Trickspieler des Thrillerkinos es markenzeichenhaft tut, wartet auch Sam Esmail ganz zum Schluss mit einer Pointe auf. Und die ist zugegebenermassen ziemlich cool.