Eine kleine Geschichte über das Töten

Der kanadische Kultregisseur David Cronenberg («Crash») hat mit dem überaus atmosphärischen Thrillerdrama «A History of Violence» einen für ihn eher untypischen Film gedreht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Tom Stall (Viggo Mortensen) ist ein braver Mann. Die Verkörperung des anständigen, hart arbeitenden Durchschnittsamerikaners. Einer, der zu jenen gehört, die Richard Nixon einst die schweigende Mehrheit genannt hat. Keiner, der rumpoltert und als Erster aufsteht, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten. Tom Stall ist ein bescheidener Mann. Und trotzdem (oder gerade deshalb) hat er es zu etwas gebracht, betreibt sein eigenes Café, wohnt in einem schmucken Häuschen, geniesst hohes Ansehen, lebt sein perfektes kleines Leben, liebt seine perfekte kleine Familie: die rassige Frau (Maria Bello), die kraft ihrer überlegenen Wesensart eigentlich eine Liga über ihm spielt, den stillen Teenagersohn (Ashton Holmes), der den hohlköpfigen Alphamännchen an seiner Schule gewitzt Paroli bietet, und das süsse Töchterchen (Heidi Hayes), das sich im Dunkeln vor Gespenstern fürchtet. Alles wunderbar zwar, dass das nicht ewig so weitergehen kann, ahnen wir indes bereits, waren doch diese liebreizenden Kleinstadtfamilien noch immer beliebte Opfer perfider Gemeinheiten, die sich subversive Regisseure wie David Lynch oder sein hier werkelnder Namensvetter und Geistesbruder David Cronenberg ausgedacht haben. Bald schon wird bei den Stalls denn auch nichts mehr so sein, wie es einmal war oder doch wenigstens zu sein schien. Denn bald schon wird Tom Stall ein Held sein, ein «American Hero», der für einmal doch aufgestanden ist, sich die Knarre geschnappt und den beiden seine Kundschaft bedrohenden Finsterlingen das Hirn weggepustet hat. Ausgerechnet Tom Stall, dieser sympathische Biedermann. So was hätten wir ihm nun wirklich nicht zugetraut. Instinktiv vermuten wir deshalb: Da kann irgendwas nicht stimmen. Und natürlich stimmt hier irgendwas nicht. Ist ja schliesslich ein Cronenberg-Film hier – wenn auch ein eher untypischer.

Profunde Charakterstudie

Es dauert in «A History of Violence» etwa eine halbe Stunde, bis sich erste Risse in der heilen Fassade auftun und die weissen Gartenzäune von Bluttropfen bespritzt sind: Just als die Stalls zur Normalität zurückkehren wollen, marschiert ein misslaunig von Toms vermeintlich finsterer Vergangenheit schwadronierender Hardcore-Gangster (Ed Harris) in dieses Städtchen aus dem mit vielen Abziehbildchen bestückten Bilderbuch ein. Der lokale Sheriff warnt ihn noch: «Das ist ein netter Ort. Wir haben nette Leute hier. Wir kümmern uns um unsere netten Leute.» Doch von so einem jodelnden Hinterwälder aus Indiana lässt sich ein solch schwerer Junge, der in den übelsten Ecken von Philadelphia herumzulungern pflegt, selbstredend kaum was sagen. Umso weniger, als er Recht haben könnte mit der Behauptung, Tom sei nicht der, der er vorgibt zu sein. Bis hierin Klarheit herrscht, sind freilich bange Minuten voll psychologischen Terrors zu überstehen, ehe es im letzten der drei so unterschiedlichen Teile noch mal richtig zur Sache geht. Das atmosphärische Drama, das sich allmählich zum nervenzehrenden Thriller entwickelt hat, reift nun zur profunden Charakterstudie aus und wird endgültig zu einem Werk wohl von einer Klasse, die man Cronenberg zugetraut hätte, von einer Art jedoch, die unerwartet ist.

Cronenberg in Hochform

Das Brillante an diesem Film ist, dass seine Kernaussage wie so oft bei Cronenberg zwar auf der philosophischen Ebene und in von darwinistischem Gedankengut beseelten Sphären zu suchen und zu finden ist, dass er aber – niveauvoll unterhaltend – auch ohne Not zur intellektuellen Höchstleistung seitens des Zuschauers bestens funktioniert. Damit hebt sich die Verfilmung eines im Paradox-Press-Verlag («Road to Perdition») erschienenen Comic-Romans durchaus entscheidend von mehr Kopflastigem wie «Dead Ringer» oder «Crash» ab, wiewohl die meisten klassischen Cronenberg-Motive auch hier zumindest anklingen: die drastische Gewalt(-Darstellung), der Horror, psychische und physische De- und Transformation oder das jähe Verschieben von Machtverhältnissen. Durchgehend solide bis superb gespielt inklusive eines quasi zum Nachtisch servierten Schmankerls von William Hurt, zählt diese kleine Abhandlung über die Gewalt zum Vielschichtigsten, Intelligentesten und schlicht Meisterhaftesten, was das Kino in letzter Zeit zu diesem Thema zu sagen hatte – und ist vielleicht das Beste, was Cronenberg in den rund 30 Jahren seines Wirkens hervorgebracht hat.