Zeit für Antworten

Die Jason-Bourne-Reihe hat ihren Star und ihren Regisseur wieder und in ihrer fulminanten neuen Folge einen im Actionfach seltenen Trumpf: spannende und hervorragend gespielte Figuren.

 

von Sandro Danilo Spadini

14 Jahre sind es schon, dass Jason Bourne erstmals im Kino aufkreuzte. Es war das kurz nach 9/11, und der Moment schien traurig treffend, die vom gerade verstorbenen Thrillerautor Robert Ludlum zwei Jahrzehnte zuvor lancierte Figur vom Kalten Krieg in die Gegenwart zu holen. Inzwischen sind die Zeiten gar noch garstiger, und vielleicht auch deshalb kehrt der gedächtnisschwache Ex-CIA-Agent, der zuletzt in «The Bourne Legacy» bloss Gespenst war, nun nach 9 Jahren in Fleisch und Blut wieder. Der fünfte Teil der Reihe mit dem modisch reduzierten Titel «Jason Bourne» ist als Klimax und Quintessenz gedacht: Die Fäden sollen zusammenlaufen, letzte Antworten gegeben werden. Es wird hier denn auch nochmals klar, dass diese aus dem Trümmerfeld der jüngeren geopolitischen Wirren hinauskatapultierte Killermaschine seit je ein Produkt ihrer Zeit war: ausgedacht in der Paranoia der Siebziger, ausgeformt in der Kälte der Achtziger, ausrangiert im Zynismus der Bush-Jahre – und zurückgeschleudert in die paranoide, kühle, zynische Härte von heute. Auch in der Figur Jason Bourne laufen also die Fäden zusammen; nur letzte Antworten, die vermag sie nicht zu geben.

Jäger und Gejagter

An solchen liegt Bourne zunächst freilich auch nicht; stattdessen verdingt er sich im Balkan in illegalen Bare-Knuckle-Fights. Ein trauriges Dasein im Untergrund zwar, trist und trostlos fürwahr, aber immer noch besser als früher, als er umprogrammiert und hochgezüchtet fürs Vaterland 32 Menschenleben auslöschte und darüber buchstäblich seine Identität verlor. Als er dann nicht mehr funktionierte, erklärte ihn seine Regierung zum «Most Wanted Man» und mithin zu Freiwild, worauf er seinerseits die Schergen der Macht terrorisierte und endlich blossstellte. Jäger oder Gejagter: So genau war das in der Ludlum-Trilogie nicht immer klar – vor allem nicht in den Handkamera-verwackelten und Stakkato-geschnittenen Teilen 2 und 3, wo Paul Greengrass ekstatisch mit dem Regiezepter fuchtelte. Der Brite ist nach dem Zwist um die Machtübernahme durch Drehbuchautor Tony Gilroy nun zurück; mangels Romanvorlage verantwortet er diesmal sogar die Story. Wieder da ist auch der damals ebenfalls vor Gilroy geflüchtete Star Matt Damon. Und vereint schreiben die beiden aufs Neue Actionfilmgeschichte – mithilfe alter Spezis wie Kameramann Barry Ackroyd, den Greengrass schon in «United 93» an Bord hatte, oder Cutter Christopher Rouse, der auch als Co-Autor wirkte. Und dank eines Trumpfs, der in diesem Fach eher selten ist: Die Figuren sind spannend, und sie sind hervorragend gespielt. Von Tommy Lee Jones als CIA-Direktor vom groben alten Schlag; von Oscar-Gewinnerin Alicia Vikander als des Direktors ehrgeizige Ziehtochter; von Vincent Cassel als persönlich motiviertes Ein-Mann-Killerkommando; von Riz Ahmed als Silicon-Valley-Star, der die CIA die 1,5 Milliarden User seiner Social-Media-Plattform anzapfen lässt; und von Julia Stiles, deren Nicky als Letzte noch immer dabei ist.

Molotowcocktails statt Martinis

Nicky ist es auch, die Bourne aufspürt, nachdem sie sich ins CIA-Netzwerk gehackt und ein Leck «schlimmer als Snowden» verursacht hat. Sie habe Informationen über ihn gefunden, er müsse das lesen, er habe zu lange ein schlechtes Gewissen gehabt, er sei Opfer. Bis man dann halbwegs ein Bild davon und vom neuen CIA-Totalüberwachungsprogramm hat, war man in diesem abermaligen Katz-und-Maus-Spiel schon an einem Dutzend Schauplätze; man bekommt da fast einen Jetlag, und seekrank wird man ob der noch immer hyperhektischen Regie von Greengrass sowieso – etwa wenn er uns huckepack auf Bournes breitem Rücken durch die rauch- und feuerverhangenen Gassen Athens vorbei an prügelnden Cops und Molotowcocktails werfenden Demonstranten jagt. Hier und auch später in den ebenso frei von Glanz und Glamour, Exotik und Erotik inszenierten Szenen in Berlin, London oder Vegas ist der phonetisch verwandte Genrekollege James Bond sehr weit weg (wiewohl ihn Daniel Craig ein gutes Stück dem einstigen Gegenentwurf Jason Bourne angeglichen hat). Alles ist grau, kalt, hart, alles verschwommen, verwischt, verwackelt, und genau darum gehts: Was Greengrass übermitteln will, ist trotz aller Aktualitätsbezüge zuerst eine Stimmung, ein Gefühl, ein kalter Hauch von Unbehagen, von Misstrauen in alle und jeden. Und das mit einem handgemachten, muskelbepackten, schweisstreibenden und dabei durchaus kopflastigen Irrsinnsfurioso, das einen tatsächlich paranoid stimmt und mitreisst in den Taumel des Helden. Und wenn man da am Abgrund hängt und sich mit einer feuchten Hand festklammert, dämmert es einem, dass das Paul Greengrass wohl zum ultimativen Actionregisseur der Kinoneuzeit macht; jedenfalls aber zum definitiven für unsere so schwierige Gegenwart: zum Chronisten unserer Ängste nämlich.