Zufällige Giftpfeile auf den Chefsessel

Lars von Triers Büro-Komödie «The Boss of It All» möchte laut Eigenaussage des Regisseurs bloss harmlose Unterhaltung sein, ist über weite Strecken aber nicht einmal das.

 

von Sandro Danilo Spadini

Lediglich harmlos unterhalten wolle das Folgende, und keinerlei politischen oder reflektierungswürdigen Gehalt trage dieses in sich, lässt uns zu Beginn der Komödie «The Boss of It All» eine Stimme aus dem Off wissen. Ein komisches Kerlchen vermutet man sogleich hinter diesen Aussagen – und irrt nicht. Kein Geringerer als der dänische Regiemeister Lars von Trier ist es nämlich, der sich hier ungewohnt volkstümlich gibt und dabei natürlich ein wenig flunkert. So ist das alsbald Gezeigte streng genommen weder gänzlich harmlos noch richtig unterhaltsam, sondern vielmehr ein neues Experiment des Exzentrikers, an dem zuvörderst er selbst seine Freude haben dürfte. Das sei ihm indes auch gegönnt, hat ihm die berechtigte Rüge für seinen «Dogville»-Nachfolger «Manderlay» doch augenscheinlich derart zugesetzt, dass er darob die Lust auf die Fertigung des fälligen dritten Teils seiner polemischen USA-Trilogie verloren hat. Und nach dem «meinem krankhaften Drang zum Perfektionismus» geschuldeten Rückzug von der Bayreuther Neuinszenierung des «Rings der Nibelungen» stand ihm der Sinn wohl erst recht nach Schlichtem und Spielerischem.

Imaginärer Chef

Für seine aktuelle (Gicht-)Fingerübung hat sich von Trier mithin erneut etwas ach so Feines ausgedacht: Die Kamera- und Tonauswahl überlässt der Kontrollfreak diesmal einem Zufallsgenerator, den er Automavision nennt und der dem Menschen das Zepter aus der Hand nehmen soll. Was diese Spielerei nicht beinhaltet, ist freilich eine Bereicherung fürs Publikum. Denn ohne Wissen darum bleibt einem im Grunde nur eine gewisse Verwunderung über unfokussierte Kameraeinstellungen und unmotivierte Schnitte. Das Werk muss also gleichsam kontextualisiert werden und kann nicht für sich alleine stehen – was ja, wiederum streng genommen, nicht so gut ist. Will man dann ganz pedantisch sein, muss man von Trier überdies in das von gar vielen Lobbezeugungen verzierte Stammbuch schreiben, dass nicht mal die Handlung von «The Boss of It All» allzu originell ist. Diese dreht sich um den knuddelbärigen Ravn (Peter Gantzler), den skrupellosen, aber harmoniesüchtigen Chef einer IT-Firma, der mangels Konfliktfähigkeit und aus schierer Feigheit einen stets abwesenden Oberboss erfunden hat, an dem sich der in der Tat berechtigte Unmut der Belegschaft eben nicht entladen kann. Als Ravn den Betrieb an einen isländischen Dänenhasser (Fridrik Thor Fridriksson) verkaufen und damit seine vermeintlichen Freunde abermals bescheissen will, engagiert er den prätentiösen und bald bedauernswerten Schauspieler Kristoffer (Jens Albinus) für die Rolle des «Boss of It All». Dessen künstlerischer Ehrgeiz verhindert jedoch einen geschmeidigen Ablauf der Transaktion, und nachdem er zunächst ordentlich was auf die Mütze gekriegt hat, bringt er in nicht allerbester, aber teils gefälliger Screwball-Manier selbstredend alles durcheinander und Ravn endlich auf die Palme.

Entschuldigung aus dem Off

Dies alles klingt wohl durchaus gewitzt, doch neu ist wenigstens die Grundidee halt nicht wirklich. Ganz eifrige Beobachter mögen sich etwa an den Michel-Serrault-Film «L’Associé» (1979) erinnert fühlen; und manch einem Unentwegten könnte sogar eine Folge des Fünfzigerjahre-Programms «Alfred Hitchcock Presents» namens «A Bullet for Baldwin» in den Sinn kommen. Aber das wäre dann vielleicht doch etwas zu weit gesucht, liegt von Triers primäre Inspirationsquelle zeitlich wohl eher näher, namentlich in der BBC-Mockumentary «The Office» oder seiner eigenen TV-Serie «Riget». Gerade dort hat von Trier notabene bewiesen, dass er das bisweilen absurde Betriebsinnenleben zwischen Kaffeeautomat und Sitzungszimmer mit bösartigem Biss und schwarzem Schmäh einzufangen vermag. Hier jedoch muss man inmitten dezenter Kapitalismuskritik, vielen Leerlaufs und einiger weniger Geistesblitze mit vorhersehbaren und ad nauseam ausgeschlachteten Pointen sowie schalen Intellektuellen- und Insider-Scherzchen zulasten der vom Chefdogmatiker wenig geschätzten Schauspielergilde vorliebnehmen. Lieb- und Sorglosigkeiten technischer Natur, auf die Automavision keinen Einfluss hatte und die vielmehr von einer gewissen Arroganz zeugen, sowie schauspielerische Schwächen in den Nebenrollen bereiten zusätzlichen Kummer. Und so ist es nicht nur nett, sondern recht eigentlich nötig, wenn sich von Trier am Schluss nochmals zu Wort meldet und sich bei all jenen entschuldigt, die mehr erwartet haben.