von Sandro Danilo Spadini
Noch bevor Adele ihr magistral-nostalgisches Titelstück anstimmt, ist Bond bereits…tot. Niedergestreckt vom eigenen MI6, hinabgesackt von einer Brücke, hineingeplatscht ins Wasser. Doch so hart
der Schuss, so tief der Sturz, so kalt der Strom: Nur kurz wird Bond «den Tod geniessen» dürfen. Bloss bis Adele ihr Lied zu Ende gesungen hat. Bis eine animierte Version seiner selbst im
bizarren Vorspann durch ein Meer von Grabsteinen und Totenköpfen geschwommen ist. Und bis M (Judi Dench) sich mit seinem Nachruf abgemüht hat. Voll auf dem Damm ist der untergetauchte James
freilich nicht, als er sich im mediterranen Vorruhestand entschliesst, nach London zurückzukehren zum soeben unter Terrorbeschuss geratenen MI6. Unrasiert ist er, versehrt und selten nüchtern:
Ein ausgelaugter, abgehalfterter, missvergnügter Mann mittleren Alters ist das – und alles andere als ein Übermensch, ein Superheld, als einer, dem man die Lizenz zum Töten geben sollte.
Voller Kabinettstückchen
Doch genau das tut M. Wiewohl Bond beim Eignungstest für die Rückkehr in den Dienst physisch wie psychisch durchgefallen ist. Aber sie braucht jetzt «ihren» James. Denn was dem britischen
Geheimdienst gerade an Misslichem widerfährt, hat zuallererst mit ihr zu tun: Es ist etwas Persönliches, was den blondierten Psychopathen Silva (Javier Bardem) zur Zerstörung seines einstigen
Arbeitgebers antreibt. Einer der entrücktesten und entfesseltsten Bösewichte in der 50-jährigen Bond-Geschichte strebt also nicht nach Weltherrschaft, sondern nach profaner Rache. Und dies
notabene nicht an Bond, sondern an dessen Chefin. Das ist natürlich erst mal verblüffend: In «Skyfall», dem 23. Teil der Reihe, ist der notorische Weltenretter 007 nichts mehr als der Schutzengel seiner gestrengen Zieh- und
Ersatzmutter und auf Handlungsebene gar nicht der Schlüsselspieler. Aber dafür ist er hier eine richtige Person. Was beim Neustart mit Daniel Craig in «Casino Royale» anvisiert und in «Quantum of
Solace» akzentuiert wurde, wird hier nämlich zementiert: Die Schwächen dieses Bond sind nicht so sehr solche für Girls, Autos, Drinks – sondern getreuer den Vorlagen Ian Flemings solche der
Psyche, der Seele, des Herzens. Doch obwohl die Dekonstruktion des Mythos in «Skyfall» auf diese beinahe gefühlige Weise ihren weiteren Lauf nimmt: Das Werk von Starregisseur Sam Mendes
(«American Beauty») steht gleichzeitig auch wieder strammer in der Bond-Tradition. Das insofern, als einiges Vertrautes und manch Bekannter wiederkehren: der Tüftler Q etwa, diesmal verkörpert
als schmalbrüstiger Nerd von Ben Whishaw. Und mehr noch, weil hier wieder en masse das drin ist, was gerade Marc Forsters Vorgänger vermissen liess: die Kabinettstückchen, die das Ganze so
speziell machen. Deren schönste legt der Engländer Mendes ausgerechnet auf fernem Terrain hin, wenn er in Schanghai ein berauschendes Spiel mit dem Licht veranstaltet, das seinen Platz in der
Bond-Ikonografie auf sicher hat. Hier, aber auch im verfolgungswahnsinnigen Prolog in Istanbul oder beim Finale im schottischen Hochland wird augenfällig: Nie hat ein Bond-Film besser
ausgeschaut.
Craig kann es
Die Zunge zum Schnalzen bringt wiederholt aber auch das Autorenteam. Das von Peter Morgan («The Queen») angedachte, den Bond-Stammschreibern Neal Purvis und Robert Wade weitergesponnene und von
John Logan («Hugo») veredelte Skript bietet freilich mehr als Bonmots und einen ungewohnt unvorhersehbaren Plot; indem es den menschgewordenen Bond existenziellen Qualen aussetzt und ihn über
mehr als gerührt oder geschüttelt sinnieren lässt, berührt und erschüttert sein Schicksal bisweilen gar. Und mit Daniel Craig ist da ein Mann, der das auch spielen kann; der die berühmteste Figur
der Kinogeschichte verletzlich erscheinen lässt beim Blick in die unschöne Vergangenheit und die ungewisse Zukunft; der im Duett mit Judi Dench der komplizierten Beziehung zwischen Bond und M
psychologische Tiefe zu verleihen vermag; und der es auch mit einem Übermimen wie Javier Bardem aufnehmen kann. Craig mag zwar nicht der charismatischste aller Bonds sein; schauspielerisch jedoch
ist er fraglos der beste. Und so ähnlich verhält es sich auch mit dem Film selbst: Er ist vielleicht nicht der charmanteste seiner Gattung; handwerklich ist er all seinen 22 Vorgängern aber um
Längen überlegen. Mit «Skyfall» ist Sam Mendes nichts weniger als der perfekte Bond für das 21. Jahrhundert geglückt. Der Musterfilm, an dem sich die Nachfolger orientieren sollten. Der
Meilenstein, um den Bond-Bestenlisten künftig geordnet werden. Das Meisterwerk, auf das man gehofft hatte.