Im Netz des Spinners

Leto, Malek, Washington: Gleich drei Oscar-Preisträger zaubern in «The Little Things» – einem spannenden und stimmungsvollen Serienkiller-Thriller, der es mit den Genregrössen der Neunzigerjahre aufnehmen kann.

Sky

von Sandro Danilo Spadini

Irgendwie stimmt hier etwas nicht mehr: Vor ein paar Wochen kam ein mittelgrosser Film namens «Midnight in the Switchgrass» heraus – gewiss kein Meisterwerk zwar, aber ein grundsolider Serienkiller-Thriller, mit Megan Fox, Emile Hirsch und Bruce Willis obendrein ordentlich besetzt. Von der Kritik jedoch wurde er gnadenlos verrissen und vom Publikum hämisch verschmäht – und das in einer Form und Heftigkeit, die ehedem den wirklich üblen cineastischen Fauxpas vorbehalten war. Warum, bleibt ein Mysterium; aber es entspricht dies einem Muster, das gerade für das Krimigenre schon seit Längerem auszumachen ist: Filme dieser Art scheinen heute einfach nicht mehr gefragt zu sein, oder aber es wird ein Massstab an sie angelegt, der für Produktionen mit reinem Unterhaltungscharakter nicht angezeigt ist. Wie dem auch sei. John Lee Hancocks «The Little Things» ist jedenfalls ein ganz anderes Kaliber als der eingangs erwähnte Genrekollege: jahrelang geplant, ambitioniert budgetiert und mit nicht weniger als drei Oscar-Preisträgern besetzt. Herausgekommen ist denn auch tatsächlich ein Film, der es mit den Grossen des Genres aufnehmen kann, das in den Neunzigern in Blüte stand. Und doch auch hier: verhaltene Reaktionen allenthalben.

Von der Obsession getrieben

Verstehe es, wer will. Bitter ist das fraglos für Regisseur und Drehbuchautor John Lee Hancock, der sich mit Sportfilmen à la «The Blind Side» und historischen Filmen wie zuletzt dem Bonnie-&-Clyde-Schmankerl «The Highwaymen» einen anständigen Ruf erarbeitet hat. Und der hier ein regelrechtes Herzensprojekt umgesetzt hat. Bereits 1993 hatte er das Skript zuhanden von Steven Spielberg geschrieben; diesem war die Geschichte dann aber zu düster – keine Überraschung hier. Später waren auch Clint Eastwood, Warren Beatty und Danny DeVito kurz mal an Bord. Doch klappen wollte es ums Verrecken nicht – womöglich auch, weil die Zeit der Serienkiller-Filme da schon abgelaufen war. Nun aber also ist «The Little Things» zum guten Glück doch noch verwirklicht worden, wobei Hancock die Geschichte gleich in den Neunzigern belassen hat. In deren Zentrum stehen – eine von nicht wenigen Parallelen zum Genreklassiker «Se7en» – zwei ungleiche Polizisten: hier der schneidige LAPD-Ermittler Jimmy Baxter (Rami Malek), glücklich verheiratet, Vater zweier kleiner Töchter, gläubiger Christ, am Anfang einer verheissungsvollen Karriere. Da der ausgebrannte Joe Deacon, dem der letzte Mordfall, den er vor fünf Jahren bearbeitet hat, innerhalb von sechs Monaten eine Beurlaubung, eine Scheidung und einen dreifachen Bypass eingebrockt hat und der sich hernach von der Stadt auf einen Hilfssheriff-Posten im beschaulichen Kern County zurückgezogen hat. Nun führt eine Serie von Morden an jungen Frauen, in der es Ähnlichkeiten zu einem von Deacons ungelösten alten Fällen gibt, die beiden zusammen. Und auch wenn Oldschool-Joe und Hotshot-Jimmy auf den ersten Blick nicht eben ein Dream-Team abgeben und Letzterer von seinem Chef gewarnt wird, er solle sich ja nicht «mit diesem Typen» einlassen: Nach einem sehr kurzen Flirt mit dem Klischee vom Clinch zwischen den Polizistengenerationen erkennen die beiden, dass sie aus demselben Holz geschnitzt sind und sie die gleiche Obsession umtreibt. Doch Jimmy muss aufpassen. Wo das hinführen kann, sieht er doch an Joe. Der hat seine eigene Leiche im Keller, wie wir in Rückblendenfetzen nach und nach erfahren, und ächzt unter der Schuld, die er vor Jahren auf sich geladen hat – einer Missetat, die ihn beinahe gebrochen und definitiv schwer und nachhaltig beschädigt hat. Was sie in seinen Augen sehe, sei nicht gut, sagt ihm eine alte Weggefährtin. Und wiewohl er sich mittlerweile bemüht, wieder öfter zu lächeln und das Leben locker zu nehmen, und wie sehr er auch in sich zu ruhen scheint – die Vergangenheit zieht ihn immer wieder runter in finsterste Gefilde, denn er weiss: «Es ist nie vorbei.»

Kino aus der guten alten Zeit

Es gibt so vieles in Hancocks Film, was Applaus und Respekt abnötigt. Allem voran natürlich die Performances der drei Oscar-Stars: das Linkische von Rami Malek, das Würdevolle von Denzel Washington und sowieso das Wahnsinnige von Jared Leto, dessen Psychopath Albert Sparma zwar ausschaut wie Jesus Christus, aber der bare Satan zu sein scheint. Doch auch in den mittleren und kleineren Rollen ist das, wenngleich wenig prominent besetzt, auffällig gut gespielt. Dazu kommen jene kernigen Dialoge, wie sie nur Ami-Bullen vernünftig hinkriegen, ein paar spektakuläre Aufnahmen und eine Atmosphäre, die wohl dicht, trotz der vielen Nachtszenen aber nicht wirklich düster ist, zumal das ja in L.A. spielt und mithin auch für reichlich goldenen Sonnenschein gesorgt ist. Ein Film, der «The Little Things» heisst, tut freilich auch nichts Verkehrtes, wenn er den Details Sorge trägt und mit Kleinigkeiten Freude bereitet. Vielleicht am bewundernswertesten hier ist indes, wie trotzig Hancock auf die alte, aus dem Eventkino von heute gelöschte Genreformel vertraut; wie stur er seiner Linie treu bleibt und wie selbstsicher er die Sache durchzieht. Nach alter Filmväter Sitte nimmt er sich nonchalant die Zeit, eine Auslegeordnung zu machen, die Figuren vernünftig einzuführen, sie zu modellieren, ihre Beziehungen untereinander wachsen zu lassen und sie zwischendurch auch mal etwas philosophieren zu lassen. Und wenn das bedeutet, dass der Film auf eine unmoderne Laufzeit von über zwei Stunden anschwillt, dann ist das halt so. Dafür ist man dann umso gebannter dabei, wenn die eigentlichen Ermittlungen vollendet und der Täter in Person dieses Sparma-Psychos tendenziell eruiert ist – und wenn der beginnt, Spielchen zu treiben mit dem Cop-Duo, bis Jimmy blind vor Obsession allmählich den Boden unter den Lackschuhen verliert und im Netz des Spinners zappelt. Bei Anbruch des gespenstischen Finales, das in einem genial kryptischen Ende gipfeln wird, geht es dann längst nicht mehr darum, ob Jimmy das eine noch vermisste Mädchen finden wird, sondern nur mehr um die Hoffnung, seine Seele möge anders als weiland jene Brad Pitts in «Se7en» keinen irreparablen Schaden nehmen. Auf Erlösung darf er da indes schon lange nicht mehr hoffen; die wird er so wenig finden wie Joe. Dafür sind die beiden schon zu weit gegangen; dafür haben sie schon zu tief in den Abgrund geblickt. Sie sind jetzt jenseits von Gut und Böse.