von Sandro Danilo Spadini
Es gibt unbestritten vieles, was man an den vorherigen acht Teilen, die der «Saw»-Franchise entsprungen waren, bemäkeln darf; und es gibt auch einiges, was man heftig beklagen kann: Die
expliziten Grauseligkeiten, die teils grenzwertig, teils jenseits sind, poppen da natürlich als Erstes auf. Aber auch, dass der mittlerweile in respektableren Horrorgefilden gelandete Regisseur
James Wan («Malignant») vor 17 Jahren dem unseligen Subgenre des Folterpornos den Weg bahnte. Oder ganz profan: dass das Konzept schon länger verbraucht ist und sich recht eigentlich totgelaufen
hat. Doch was man dieser von grüblerischeren Zeitgenossen auch mal als «reaktionär» gebrandmarkten Reihe neben einem fulminanten Einspielergebnis von kumuliert einer Milliarde Dollar einfach
lassen muss: Die Plots waren stets flüssig erzählt und warteten jeweils mit einer bösartig cleveren Schlusspointe auf; das Geschehen war immer halbwegs stimmungsvoll inszeniert; und die Filme
besassen allesamt ihren ureigenen, dreckig-düsteren Look, ein Shabby Chic der ganz schäbig unschicken Sorte sozusagen. Kurzum: Die «Saw»-Filme hatten nichts weniger als das, was man ein
Alleinstellungsmerkmal zu nennen pflegt. Und das war denn wohl auch das Geheimnis ihres unheimlichen Erfolgs.
Auch mal unfreiwillig komisch
Doch das war einmal. Denn nun soll die «Saw»-Franchise, die eigentlich schon vor elf Jahren zu Grabe getragen war und dann 2017 mit «Jigsaw» doch einen sanften Relaunch erfuhr, zu neuen,
mainstreamigeren Ufern aufbrechen. Unter der Führung des Komikers Chris Rock, eines selbst erklärten Über-Fans der Reihe, will man einen Schritt aus der Schmuddelecke machen und sich mit einer
Annäherung an das Polizeithriller-Genre ein neues Publikum erschliessen. Die neue Strategie spiegelt sich schon im Titel des nun also neunten Teils wider:
«Spiral: From the Book of Saw» – der Name der
Franchise wurde in den Untertitel abgeschoben. Rock waltet hier nicht nur als Ideengeber und neben den Serienschöpfern James Wan und Leigh Whannell als Produzent; er hat auch nicht widerstehen
können, sich die Hauptrolle des störrischen Cops Ezekiel «Zeke» Banks unter den Nagel zu reissen. Und um es gleich knallhart vorwegzunehmen: Von den vielen sehr schlechten Entscheidungen, die bei
diesem Projekt getroffen wurden, war das die wahrscheinlich miserabelste – der Rohrkrepierer schlechthin, eine angekündigte Katastrophe, wenn man so will. Denn so abenteuerlich sich diese
Besetzung auf Papier liest, so albtraumhaft ist das dann auf der Leinwand. Dass seine Figur von jedem, aber wirklich jedem verdammten Bullenklischee der Kinogeschichte zerfressen ist, wird wohl
nur teils seine Schuld sein; dass er diesen bei seinen Kollegen verhassten Aussenseiter derart nervös und nervtötend gibt, wie er unentwegt rumkeift und rumfuchtelt, pausenlos andere verschwitzte
Cops anpflaumt und anschnauzt oder sich mit seinem Vater (Samuel L. Jackson) fetzt und den ihm zugeteilten Rookie (Max Minghella) triezt – das hingegen ist in seinen mannigfachen schlechtesten
Momenten immer wieder unfreiwillig komisch. Immerhin aber korreliert dieses ungelenke Gezappel mit dem immer noch von Turboschnitten und Vollkaracho-Kamerafahrten geprägten Inszenierungsstil
seines Regisseurs Darren Lynn Bousman, eines «Saw»-Veteranen, der schon die Teile 2 bis 4 verantwortete und alsdann Billig-Horrorware à gogo fabrizierte. Was Bousman hier abliefert, ist nun doch
recht ausbaufähig. Im Bemühen, die Franchise zu revitalisieren, tauscht er den charakteristischen «Saw»-Look gegen eine aufgehellte klassischere Ästhetik ein, die freilich nicht nur beliebig,
sondern vor allem grauenhaft billig wirkt. Gar noch quälender ist indes, dass er seinem von Rückblenden durchlöcherten Film nie einen gescheiten Erzählfluss einverleiben kann. Und dieses Harzige,
Holprige führt endlich dazu, dass «Spiral» dann tatsächlich etwas tut, was keiner seiner acht Vorgänger je gewagt hat: Er langweilt.
Nicht mal ein Aha-Effekt!
«I want to play a game»: Dieser Catchphrase kommt zwar auch im Prolog von «Spiral» wieder vor, selbstredend gekrächzt von einem ulkig Maskierten auf einem flimmrigen Schwarzweiss-Bildschirm, der
als Nachahmer des legendären Jigsaw eine Höllenjagd auf korrupte Cops anzettelt. Doch bald schon weist sich, dass hier nur dessen perverse und abermals ziemlich übers Ziel hinausschiessende
Folterspielchen auf «Saw»-Niveau sind. Verzettelt haben sich nämlich obendrein die Drehbuchautoren Josh Stolberg und Pete Goldfinger, die beim unmittelbaren Vorgänger «Jigsaw» noch relativ
ordentliche Arbeit abgeliefert hatten. Hier nun bringen sie es fertig, die Franchise auch noch ihres letzten Trumpfs zu berauben: des finalen Überraschungseffekts, der bisweilen zwar arg rustikal
ausgefallen war, vielleicht auch mal etwas konstruiert, aber doch stets ein anerkennendes «Aha!» entlockte. Hier hingegen ists nur mehr ein mitleidiges «Oha!», das einem entfährt, wenn der Film
auf sein erstaunlich vorhersehbares Ende zusteuert und dann wirklich kein weiterer Twist mehr kommt. «Das könnte schwierig werden», meint Samuel L. Jackson in einer seiner raren Szenen mit Blick
auf den Jigsaw-Trittbrettfahrer. Münzt man das auf diese «Saw»-Copycat um, sind das geradezu prophetische Worte. Denn hier will einfach nichts zusammenpassen: Der Versuch, gesellschaftskritisch
über Polizeigewalt und fällige Reformen zu sinnieren, ist höchstens halbherzig; die Annäherung an Serienkiller-Thriller à la «Se7en» scheitert wegen der durchs Band abgedroschenen Motive
kläglich; und die Sprüche, die man Chris Rock auf den Leib geschrieben hat, sind zwar gewiss nicht ohne, wirken aber komplett deplatziert. Statt die Franchise zu revitalisieren, lässt man sie
hier mithin qualvoll verenden. «Saw X» sei schon in Planung, verlautete zwar im April. Doch das war, bevor jemand dieses scheinbar wahllos und zufällig zusammengeschusterte Flickwerk gesehen
hatte. Ein bisschen Hoffnung dürfen eingefleischte Fans indes ausgerechnet aus einer Aussage von Regisseur Bousman ziehen. Die Vorankündigung tat dieser damals als allzu voreilig ab. Gleichzeitig
beharrte er darauf, dass «Spiral» mitnichten der neunte «Saw»-Teil sei. Je nachdem, wie das Publikum darauf reagiere, sei selbst «Saw IX» durchaus ein Thema. Das indes scheint nun aber wirklich
schwer vor- und darstellbar. «Lasst die Spiele beginnen», mag der launige Leitspruch der Franchise sein. Nun sollte man die Spiele aber wohl doch lieber enden lassen.