Ich schreibe mir meine Traumfrau

Ausgewogene Geschlechteroptik dank doppeltem Paarlauf: Sowohl die Regisseure als auch die Helden der tragischen Liebeskomödie «Ruby Sparks» sind im richtigen Leben liiert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist ein perfekter kalifornischer Morgen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, das Haus blitzt in Schneeweiss. Geradeso weiss ist freilich auch das Blatt Papier, das in der Schreibmaschine von Calvin Weir-Fields (Paul Dano) klemmt. Dem jungen Mann, der so ungern Genie genannt wird, fällt nämlich nichts Literarisches mehr ein. Und das seit Längerem. 19 war er, als er die Bestsellerliste der «New York Times» anführte. Doch das ist schon zehn Jahre her. Danach hat er zwar immer wieder mal was publiziert: eine Kurzgeschichte hier, eine Novelle da. Gleichwohl wird er bereits mit J.D. Salinger verglichen: jenem Mann, der mit seinem Erstling einen Klassiker schuf, diesem aber nie mehr einen Roman folgen lassen konnte oder wollte. Wie Salinger ist zudem auch Calvin der Ruhm zuwider; entsprechend vermochte er seine Popularität auch nie in amourös oder immerhin sexuell Zählbares umzumünzen. Vielmehr hat ihn nicht nur die Inspiration, sondern auch die Freundin verlassen – auch das ist indes schon länger her. Und so hadert Calvin unentwegt allein im Elfenbeinturm oder schwadroniert unaufhörlich mit dem Bruder (Chris Messina) im Fitnessstudio oder schmollt unablässig beim Psychiater (Eliot Gould) auf der Couch.

Ein traumhaftes Geschöpf

Doch dann – wir sind kaum zehn Minuten drin in «Ruby Sparks», dem Zweitling der «Little Miss Sunshine»-Regisseure Jonathan Dayton und Valerie Farris –, ja dann küsst Calvin die Muse: Im Traum erscheint ihm eine fesche Rothaarige (Zoe Kazan), und fortan sprudeln die Ideen nur so aus ihm raus und tänzeln die Typenhebel der Schreibmaschine und jauchzt seine Literartenseele. Weggeblasen ist die Trübsal, der ewig ersehnte Nachfolgeroman schreibt sich im Liebestaumel wie von selbst. Und natürlich dreht sich alles um diese Traumfrau: Auf Ruby Sparks tauft Calvin sie; 26-jährig soll sie sein, Malerin von Beruf, Freigeist von Natur, zierlich von Statur. Nur noch an dieses zauberhafte Geschöpf denkt Calvin. Ja so vereinnahmt, von Sinnen, verrückt ist er, dass er sich bald auch in wachem Zustand mit ihr sieht. Er schreibe halt sehr lebendig, mag man da noch denken. Doch als das Mädchen seiner Träume dann wirklich und wahrhaftig in seiner Küche steht, wird es doch langsam kurios und Calvin mächtig mulmig zumute. In Panik verfällt er geradezu und wähnt sich im Wahnsinn. Aus den Fugen geraten ist aber bloss die Welt – ist aus Fiktion doch buchstäblich Wirklichkeit und Ruby nicht nur für ihn real geworden! Und das «Beste» daran: Sie ist quasi ein Work-in-Progress. Passt Calvin etwas nicht an ihr, schreibt er sie halt um, auf dass sie wieder seiner Idealvorstellung entspreche.

Steigerungslauf ins Finale

Ausgedacht hat sich das Hauptdarstellerin Zoe Kazan, deren Eltern ebenfalls Drehbücher verfassen und die die Enkelin von Regielegende Elia Kazan ist. Sie ist zwar nicht die Erste, die im Kino über das Schreiben sinniert; sie ist auch nicht die Erste, die dabei Fiktion in Wirklichkeit übergehen lässt – siehe Marc Forsters «Stranger Than Fiction». Aber der Gedanke hinter ihrem Debüt ist bestechend. Und seine Umsetzung durch die Eheleute Dayton-Farris beachtlich. Anschaulich und ansehnlich wird da ein lästiges Beziehungsphänomen illustriert: wie man sich seine Liebsten zurechtfantasiert oder nach seinem Gusto umzumodeln versucht. Denn wiewohl Calvin gelobt, er werde nie an Ruby feilen, tut er natürlich ebendies, sobald das junge Glück erwachsen wird und erste Wolken aufziehen: wenn sie müde ist, sich fordernd gibt, bockig tut – und wenn sie nach dem Umschreiben zu Frankensteins Monster wird, das mal zu depro, mal zu anhänglich, mal zu fröhlich ist. Und nun, da aus Spass allmählich Ernst wird, dreht der Film auf und zeitweilig auch mal durch auf dem Weg zu einem Finale, wo alle Freude und aller Zauber, wo alle Romantik und aller Humor gewichen sein werden. Zu Oscar-Form laufen jetzt auch Dano und Kazan auf, diese Riesentalente, die gleich wie das Regieduo auch im richtigen Leben liiert sind. Ein doppelter Paarlauf ist das also. Und das wohl garantiert die ausgewogene Geschlechteroptik in diesem sehr gescheiten und kaum gefallsüchtigen Aussenseiter-Drama.