Und dieses Mal hört man sie

Nach (fast) allen Regeln der Genrekunst: «She Said» ist ein gründlich recherchiertes, seriös inszeniertes und dabei stets packendes Journalismusdrama über den folgenreichen Skandal um den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein. Herausragend sind die Hauptdarstellerinnen.

Carey Muligan und Zoe Kazan im Film She Said

Universal Pictures

von Sandro Danilo Spadini

Der erste Anruf, den Megan Twohey (Carey Mulligan) bekommt, ist von Donald Trump. Sie sei ein «widerlicher Mensch», faucht der sie fuchsteufelswild an. Als Zweites wird die «New York Times»-Journalistin von Trumps Lakaien drüben bei Fox News angeklingelt. Ob sie vielleicht eine Feministin sei, wird sie mit Blick auf ihre Recherchen zu den sexuellen Schand- und mutmasslichen Straftaten des damaligen Präsidentschaftskandidaten gefragt. Anruf Nummer 3 ist dann anonym: «Ich werde dich vergewaltigen und umbringen und deine Leiche in den Hudson River werfen», raunt eine Männerstimme. Und dann? Hören wir den CNN-Mann Wolf Blitzer verkünden, Donald Trump sei zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Worauf es erst einmal dunkel wird. Und worauf sich Megan einstweilen ausklinkt. Nicht weil sie sich hätte kleinkriegen lassen von den Drohungen. Und nicht weil sie entmutigt wäre ob der ausgebliebenen Konsequenzen ihrer Recherche. Sondern weil sie zum ersten Mal Mutter wird und hernach in eine postnatale Depression verfällt. Daraus herausgerissen wird sie wiederum von einem Anruf: Ihre Kollegin Jodi Kantor (Zoe Kazan) hat nicht nur einige patente Muttertipps auf Lager, sondern auch ein glühend heisses Eisen im Feuer. Von mehreren Seiten sei ihr zugetragen worden, dass der so hoch dekorierte wie weithin gefürchtete Hollywood-Überproduzent Harvey Weinstein ein Unhold sei. Von sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen ist die Rede. Und von einem System, das Leute wie Weinstein schützt. Sie glaube, es gebe «eine Menge Frauen, die etwas mit ihm durchgemacht haben». Doch niemand will reden. Alle haben Angst, sind auf die eine oder andere Art zum Schweigen gebracht worden: mit Geld, mit Drohungen. Eine Omertà nach Hollywood-Manier, wenn man so möchte. Mit Weinstein als grobem, lautem Paten.
 
Ein unglamouröser Job
 
Es war eine der feinsten Stunden des investigativen Journalismus in der aktuellen, für die Branche ja alles andere als unkomplizierten Ära: Der im Oktober 2017 veröffentlichte Artikel von Megan Twohey und Jodi Kantor sollte am Ende nicht nur den Koloss Harvey Weinstein krachend zu Fall, sondern auch die #MeToo-Bewegung kräftig ins Rollen bringen. Der «New York Times» bescherte er obendrein den Pulitzer-Preis und ihren beiden Starreporterinnen den obligaten Buchvertrag: «She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement» erschien rund zwei Jahre nach dem Zeitungsartikel und ist nun von der deutschen Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader («Unorthodox», «Ich bin dein Mensch») verfilmt worden. Dass es sich dabei um eine Story von nachgerade monumentaler Eminenz handelt, wird schon auf dem Filmplakat von «She Said» angedeutet. Dieses erinnert in seiner Ästhetik stark an jenes von Steven Spielbergs Pentagon-Papers-Film «The Post» und das von «Spotlight», dem Oscar-prämierten Streifen über die Recherchen zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche; und es weckt darüber hinaus Reminiszenzen an die beiden wohl berühmtesten Journalisten der Kinogeschichte: Dustin Hoffman und Robert Redford aus dem Watergate-Thriller «All the President’s Men», dem seit bald 50 Jahren unbestrittenen Goldstandard dieses Genres. Dessen Regeln ist denn auch «She Said» mehr oder weniger treu verpflichtet: Schraders erste amerikanische Regiearbeit ist durchgehend geschwind unterwegs, wobei nur das Stakkato der Anfangsminuten etwas ungeschmeidig ist; pflichtschuldig zelebriert sie den journalistischen Coup vom ersten Tipp über Durchbrüche und Rückschläge bis zur triumphalen Publikation als knallharte Knochenarbeit; konspirative Treffen an schummrigen Schauplätzen fehlen ebenso wenig wie Beratschlagungen mit den unfehlbar weisen Redaktionsvorgesetzten; und ganz kurz zweifeln die Protagonistinnen gar oder hadern ob der persönlichen Entbehrungen. Alles da also, was ein Journalismusdrama ausmacht. Und doch ist hier einiges anders. Statt die Journis als kühne, idealismusgetriebene Heisssporne mit Superhirn zu karikieren, wird ihr Job als wenig glamouröse, oft frustrierende Sache gezeigt, derer sie sich auch mal beim Joggen oder während des Windelnwechselns annehmen müssen. Es wird hier auch mit einer noch grösseren, man möchte sagen geradezu deutschen Gründlichkeit zu Werke gegangen: sehr geduldig, überaus respektvoll, maximal faktenreich, dafür nur selten mit Thriller-Momenten und praktisch ohne dieses Pathetische, das sich mit streichergetränkten Fanfaren und wortgewaltigen Oden an die vierte Gewalt im Staat schnell einmal Bahn bricht, wenn Hollywood von heldenhafter journalistischer Arbeit fabuliert. Das ist in «She Said» erfrischend anders, sachlicher, nüchterner – wobei dieses Plus an Glaubwürdigkeit auch mal zulasten des Unterhaltungswerts geht und der Film visuell nicht viel hermacht. Aber das ist verkraftbar. Angesichts der Relevanz des Themas. Und der Klasse, die der zwar über zwei Stunden lange, aber kurzweilige Film sonst zur Schau stellt.
 
Die wahren Heldinnen
 
Eine Wucht sind die beiden Hauptdarstellerinnen: Carey Mulligan als impulsive Kämpferin und Zoe Kazan als sanftmütige Strategin sind ein denkwürdiges Duo, dessen oberflächliche Gegensätzlichkeit von einer fast schon freundschaftlichen gegenseitigen Wertschätzung ausgeglichen wird. Als arbeitende Mütter ist ihnen ein gewisser Pragmatismus eigen; für gockelhaftes Geschwafel über Verantwortung und eloquentes Aufplustern der eigenen Wichtigkeit, wie man es von den männlichen Kollegen her gewohnt ist, haben sie hingegen weder Zeit noch Musse. Im zweiten Teil dann, wenn die Mauer des Schweigens zu bröckeln beginnt und nach all den abrupt beendeten Telefonaten nun eine Abfolge von Interviews auf dem Programm steht, kommt es gar noch zu weiteren Glanzauftritten: von Samantha Morton und Jennifer Ehle als auskunftswillige Opfer, denen nun endlich jemand zuhört, oder auch von Zach Grenier und Peter Friedman, zwei von nur wenigen Männern, die hier etwas zu melden haben. Ein gewichtiges Wort mitzureden hat in dieser Sache derweil Ashley Judd, eine Schauspielerin, deren Karriere von Weinstein zerstört wurde, nachdem sie sich ihm verweigert hatte. Sie spielt hier sich selbst, ebenso wie Gwyneth Paltrow, die indes nur telefonisch ihre Aufwartung macht. Der grosse Abwesende ist – ähnlich wie schon in Kitty Greens beeindruckendem Drama «The Assistant» – hingegen Weinstein selbst, von dem nur sporadisch die Stimme zu hören und in der Schlussszene eine Rückenansicht zu sehen ist. Umso präsenter sind dafür seine Taten: wie er die totale Unterverwerfung forderte, seine Untergebenen und die sonst wie von ihm Abhängigen sexuell und emotional ausbeutete, sie schikanierte und drangsalierte, bis sie ihm gefügig waren, oder fertigmachte und abservierte, wenn sie ihn zurückwiesen. Doch es geht nicht nur darum, was Weinstein diesen Frauen angetan hat, sondern auch, was er ihnen genommen hat. Und dass der Film, der in den USA auf wenig Interesse stiess, auf die Opfer fokussiert und sie als die wahren Heldinnen dieser Geschichte darstellt, anstatt die Journalistinnen abzufeiern – das ist ihm am allerhöchsten anzurechnen. Da darf er sich dann zum Schluss trotzdem noch ein bisschen Pathos erlauben.