«Zu technisch, Sie würden es nicht verstehen»

Das Oscar-nominierte Drama «The Imitation Game» erzählt von einem englischen Codeknacker-Genie im Zweiten Weltkrieg – und hat dabei selbst eine harte Nuss zu knacken.

 

von Sandro Danilo Spadini

Vom Zweiten Weltkrieg scheint die Filmindustrie nie genug zu kriegen – zumal wenn es auf die Jagd nach Auszeichnungen geht. Auch heuer, wo ohnehin jeder zweite ambitionierte Film auf wahren Tatsachen beruht, sind gleich mehrere Zweitweltkriegsstreifen hoffnungsfroh ins Oscar-Rennen gestiegen. Derweil das Brad-Pitt-Vehikel «Fury» leer ausgegangen ist, kommt Angelina Jolies «Unbroken» zwar auf drei Nominierungen, allerdings in weniger wichtigen Kategorien. «The Imitation Game» indes, inszeniert vom norwegischen Aufsteiger Morten Tyldum («Headhunters»), darf gleich in acht Sparten dem Goldmann Avancen machen, darunter die Haupt-, die Regie- und zwei Darstellerkategorien. Dabei trägt dieser Film nicht nur seinen Teil zu einem gewissen Zweitweltkriegsfilm-Overkill bei; er nimmt sich obendrein eines Themas an, das im Kino bereits behandelt worden ist: der Chiffriermaschine «Enigma», mit der die Nazis ihren militärischen Nachrichtenverkehr verschlüsselten, und der englischen Wissenschaftler, die dieses «grösste Rätsel der Welt» knackten. In Michael Apteds «Enigma» von 2001 gab es freilich eine Auslassung, die alleine schon einen zweiten Blick rechtfertigt: Er «vergass» mit dem Mathematikgenie Alan Turing jenen Mann, der hauptverantwortlich war für diesen kriegsentscheidenden Triumph – und mit ihm auch einen sowieso schon verkannten Helden, dem später Schändliches angetan wurde.

Ein tragischer Held

Turing ist es auch, der aus dem Off gebietet: «Hören Sie mir aufmerksam zu. Wenn Sie mir nicht aufmerksam zuhören, werden Sie Dinge verpassen. Wichtige Dinge.» Er sagt das mit diesem blasierten Ton, der Angehörigen der britischen Oberschicht eigen ist. Und in der Tat wird er sich als ein Mann mit prekären sozialen Kompetenzen erweisen: als jemand, den man heute einen Nerd nennen würde. Aber Turing sagt in dieser Auftaktszene auch, man solle erst über ihn urteilen, wenn er fertig erzählt habe. Zu tun gedenkt er dies aus dem Manchester des Jahres 1951. Es ist da gerade bei ihm eingebrochen worden, worüber er aber kein grosses Aufhebens machen will. Die Polizei wird stutzig, verhört ihn, entlarvt ihn als Homosexuellen und verhaftet ihn endlich: wegen «grober Unzucht und sexueller Perversion». Kurz nach der Verurteilung zu chemischer Kastration wird er sich das Leben nehmen. Das ist die tragische Geschichte des Alan Turing. Die heroische beginnt 1939 mit einem Einstellungsgespräch, das ein rhetorisches Feuerwerk mit erstaunlichem komischem Potenzial ist: Die Stelle scheint Turing kaum zu interessieren, mit Politik habe er nichts am Hut, und Deutsch spreche er auch nicht. Er sei aber gut in Kreuzworträtseln und Puzzles, lässt er sein verdutztes Gegenüber wissen.

Paraderolle für Cumberbatch

Zu knobeln wird Turing genug haben: 159 Milliarden mögliche Codes erzeugt «Enigma», und mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen. «Zu technisch, Sie würden es nicht verstehen», schnödet Turing denn auch. Indem er einen Film über ein solch filmuntaugliches Thema drehte, hatte aber auch Regisseur Tyldum eine Nuss zu knacken. Da niemand einen Matheporno sehen will, lässt er es schliesslich mehr oder minder damit bewenden, dass es einfach sehr, sehr schwierig war, «Enigma» zu knacken. Was ihn mehr kümmert, sind die Menschen, die dies vollbrachten, allen voran natürlich Turing. Für dessen Besetzung war Benedict Cumberbatch die offensichtliche Wahl, die fast zu offensichtliche. Was der «Sherlock»-Star hier zeigt, ist trotzdem nichts als brillant und macht all die Klischees und anderen übertrieben typengerechten Castings fast vergessen: Keira Knightley als Fräuleinwunder, das den Männerklub aufmischt; Matthew Goode als Schachgenie, das Kollege Turing erst nach dem obligaten Gockelkampf schätzen lernt; Charles Dance als Funktionär, der allen Knüppel zwischen die Beine wirft; Mark Strong als MI6-Mann, dem man nur vielleicht trauen kann. Und selbstredend kritzeln die Genies dann auch noch Formeln auf Servietten und hat Turing die Erleuchtung am Abend in der Bar. Dieses Platte und Seichte wie auch die müssigen Rückblenden in Turings Schulzeit extra herauszuheben, mag angesichts von Tyldums ansonsten trefflicher Ton- und Timingsicherheit spitzfindig sein. Aber Turing hat ja gesagt, wir sollten genau hinschauen.