Definitiv unsere Zeit wert

Sehr lustig und sehr clever: Mindy Kaling hat mit «Late Night» eine klassisch aufgebaute und doch moderne Komödie geschrieben, die all die richtigen Knöpfe drückt und immer den passenden Ton trifft.

Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Seit 28 Jahren moderiert die Britin Katherine Newbury (Emma Thompson) im US-Fernsehen ihre Late-Night-Show. 6000 Sendungen. Zahllose Emmys. Viel Selbstbewusstsein. Aber: «Die Sendung ist beschissen. Seit Jahren schon. Wir sind alle nur noch wegen des Gehalts hier.» Das donnert ihr ein pampiger Pointen-Schreiberling im Groll entgegen, den Katherine soeben kalt wie eine Hundeschnauze und bissig wie ein Terrier abserviert hat. Und das Schlimme daran ist, dass dieser arme Tropf seine miese Meinung keineswegs exklusiv hat. Katherines Gatte (John Lithgow) denkt gleich. Ihr samt und sonders männliches, weisses, mittelalterliches und ziemlich dödeliges Autorenteam eigentlich auch. Und ebenso Molly (Mindy Kaling), ihres Zeichens jüngstes und endlich erstes weibliches Mitglied in der Scherzkeksdose der erklärten Feministin Katherine, indischstämmig, Single, wohnhaft in Queens bei Tante und Onkel – und vor allem: super begabt und mit analytischem Scharfsinn gesegnet. Praktikantin Molly, sonst in einem Chemiewerk für die Qualitätskontrolle zuständig, ist es also, die weiss, wie man die eingeschlafene Schose wieder aufpeppt: Angriffiger müsse Katherine werden, politischer, zeitgeistiger, relevanter – raus aus der Komfort-, rein in die Kampfzone. Schluss mit dem Fronerleben und der Arroganz, den Trend zu ignorieren und die Liebe des Publikums für gegeben zu halten. Und wiewohl Katherine eher beratungsresistent ist, hört sie Molly sogar zu – halb zumindest. Denn etwas muss jetzt gehen, etwas muss sich ändern, nachdem ihr die Chefin des Senders (Amy Ryan) eröffnet hat, dies werde ihre letzte Staffel sein: wegen sinkender Quoten und mangelnder Qualität.

Austeilen in alle Richtungen

Angriffig, politisch, zeitgeistig und relevant: All das plus sehr clever und sehr lustig ist auch «Late Night», geschrieben von Co-Hauptdarstellerin Mindy Kaling («The Office», «The Mindy Project») und inszeniert von TV-Regisseurin Nisha Ganatra. Gleich zur Ouvertüre kredenzen die beiden ein De-luxe-Bouquet an Gewitztem, Gepfeffertem und Gehässigem; und wenn Katherine da mürbe ihren Assistenten (Denis O’Hare) anbellt: «Stell einfach eine Frau ein!», dann ist das schon ein köstlicher Vorgeschmack darauf, wie pointiert und doch irgendwie entspannt hier der ganze Zank um Political Correctness und die dazugehörige Heuchelei aufs Korn genommen werden wird. Ihr Fett kriegen dann beide Seiten in der Tat zu etwa gleichen Teilen ab: Chefschreiber Tom (Reid Scott, «Veep») etwa kommt als ziemlicher Kotzbrocken rüber, wenn er Mollys Anstellung abschätzig mit «Wahrscheinlich so eine Diversitätssache» abkanzelt; umgekehrt ist er es auch, der dem allzu verzärtelten Betroffenheitsschmus per Realitätscheck immer wieder mal Einhalt gebietet. Subversiv auch die Szene, als Katherine in ihrer Show mit aller Blasiertheit, die sie zusammenkratzen kann, eine scheinbar schlichte Youtube-Berühmtheit blamieren will, um dann von dieser als «weltfremde, bittere alte Frau» in den Senkel gestellt zu werden. Oder der Sparwitz-Grobian (Ike Barinholtz), der Katherines Nachfolge antreten soll. Obwohl, nein: Der ist einfach nur ein depperter Prolo.

Auch mal albern

Es ist nun aber nicht so, dass «Late Night» augenzwinkernd im Deutungshoheitsgebiet thront und nonstop Weisheiten zum identitätspolitischen Status quo aussendet. Vielmehr sind Kaling und Ganatra auch gegenüber ausgemachten Albernheiten durchaus aufgeschlossen. Das frischt dann erst recht die nicht ganz grundlos schon etwas welken Erinnerungen an Tina Feys Fernsehbusiness-Serie «30 Rock» auf – wobei auf deren Irrfahrten an die Grenze zwischen Infantilem und Pubertärem dankenswerterweise verzichtet wird. Mehr noch als für das unbeschwerte Scherzen haben Kaling und Ganatra freilich auch einen Sinn für das Klassische; und das wird ihrem Film am Ende um ein Haar noch zum Verhängnis. Wenn im doch recht formelhaften letzten Drittel Herz Trumpf wird und die Selbsterkenntnis den Sarkasmus verscheucht, versickern nicht nur zunehmend die Gags; auch die gesellschaftskritischen Gedanken verlieren nun markant an Flughöhe oder bleiben bisweilen gleich am Boden am Zuckerguss kleben. Es geht alles ein bisschen schnell am Schluss, ein bisschen einfach, ein bisschen konform. Den ganzen Spass zu verderben und die gute Laune zu verhageln vermag diese Zielfahrt auf Autopilot im Schlafwagen indes nie und nimmer; sie ist sogar halbwegs willkommen. Schliesslich sympathisiert man längst nicht mehr nur mit Molly, die einen schon an ihrem ersten Arbeitstag mit den mitgebrachten Cupcakes erobert hat, sondern auch mit Katherine; die ist jetzt zwar nicht eben der mitfühlende Typ, und trotzdem möchte man absolut sichergehen, dass das auch mir ihr gut kommt. Das ist keine geringe Leistung: dass man sich derart um die Figuren schert. «Ich hoffe, es war ihre Zeit wert», sagt Katherine jeweils zum Abschied. O ja, war es definitiv.