Hardcore-Szenen einer Ehe

Der dänische Kino-Querulant Lars von Trier verlangt einem bei seinem experimentellen Horrorschocker «Antichrist» wieder einmal alles ab – auch Geduld.

 

von Sandro Danilo Spadini

Mit dem Horrorgenre hat Lars von Trier zwar bereits in den Neunzigerjahren bei der herrlich schrulligen TV-Serie «Riget» («Geister») geflirtet. Der nun vorgelegte Schocker «Antichrist» ist freilich von ganz anderem, ungleich härterem Schlage. Was als rein emotionaler Horror beginnt und sodann als kammerspielartiges Drama bis ins dritte Spieldrittel hinein weiterläuft, mündet schliesslich in einen Blut-und-Sex-Exzess, der keinerlei Kompromisse kennt. Und am Ende hat es der wohl profilierteste Provokateur seiner Zunft und Zeit abermals geschafft: Er verstört einen. Er erschüttert einen. Er macht einen fertig.

Achtung Klaustrophobie!

«Antichrist» geht an die Nieren und die Nerven – Letzteres auch deshalb, da der allergrösste Teil des Films einer Geduldsprobe gleicht und ausschliesslich aus Gesprächen zwischen zwei Eheleuten (Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg) besteht, ohne dass an der Oberfläche dieses 2-Personen-Stücks sonst etwas geschehen würde. Therapeutische Gespräche sind es namentlich, treffen wir diese Eheleute, von denen wir alles ausser ihren Namen erfahren, doch in einer Phase der tiefen Krise an. Deren Ursache wird im schwarzweissen Prolog in Superzeitlupe und zu den entrückten Klängen von Händels Sarabande «Lascia ch’io pianga» geschildert: Während des freizügig bis bereits explizit inszenierten ehelichen Geschlechtsakts befreit sich das Kind nebenan aus dem Laufgitter. Klettert auf einen Tisch. Krabbelt bis zum Fenstersims. Und stürzt in die schneebeflockte Nacht. Jetzt folgt die Trauerarbeit, in Farbe und etwas manieriert unterteilt in auf eine Tafel gekritzelte Kapitel, welche die wenig aufmunternden Titel «Trauer», «Schmerz» und «Verzweiflung» tragen. Der Mann fängt sich schnell. Er ist Psychiater von Beruf. Die Frau durchleidet Höllenqualen. Sie wird zu seiner Patientin. Man redet, diskutiert und philosophiert bisweilen, derweil es auf der Tonspur hinten still, mucksmäuschenstill ist. Auf einen Soundtrack verzichtet von Trier nun vollständig, was das Klaustrophobische des Arrangements noch steigert. Dann und wann jedoch rumort es, ein bedrohliches Dröhnen unterlegt einen Zoom auf ein Objekt oder eine (Traum-)Szenerie – wenn man es nicht besser wüsste, wähnte man sich in diesen abrupt die Stille durchbrechenden Momenten in einem David-Lynch-Film. Sie sind Vorboten des kommenden Unheils, diese Momente. Und ebendieses Unheil bricht sich langsam, ganz langsam Bahn, nachdem das Paar die dunkle Stadtwohnung verlassen hat, um sich in einer Hütte mitten im Wald den Dämonen zu stellen. Es sind die Dämonen der Frau, die hier, in der archaischen Natur, vermutet werden. Die Konfrontation mit den Urängsten soll Heilung bringen – und bringt das Urböse hervor: den Dämon in ihr, den Antichrist.

Die Frau als Bestie

Jetzt verkehrt sich der innere Horror in einen äusseren, jetzt dreht Extremfilmer von Trier durch und das Grauen im wahrhaft roten Bereich. Was wir nun zu Gesicht bekommen (so wir es denn nicht von der Leinwand abwenden müssen), ist Porno und Slasher im Gewand der Kunst. Wie fast all seinen Frauen – man denke an Björk in «Dancer in the Dark» oder Nicole Kidman in «Dogville» – verlangt von Trier gerade in dieser Phase seines wohl ästhetisch dichtesten und bestimmt nicht ganz dichten Films auch dem Teufelsweib Charlotte Gainsbourg alles ab, Körpereinsatz bis zur Selbstaufgabe inklusive. Und dem Publikum verlangt er ohnehin alles ab, in jeder Phase des Films. Nebst einer dicken Haut und viel Geduld ist vor allem Denkarbeit gefragt, wirft von Trier doch die ganze Palette an Existenzialistischem in die Waagschale: Religion, Natur, Gewalt, Sex, Vernunft, die Frage nach dem Wesen des Mannes, dem Wesen der Frau, die Frage nach dem Guten, nach dem Bösen –einfach alles. Mit «Antichrist» wollte sich von Trier angeblich selbst therapieren. Ob es in diesem ungeheuer selbstverliebten Genie und (Vermarktungs-)Künstler wirklich so ausschaut, will man vielleicht gar nicht wissen. So wie man diesen sagenhaft bestialischen und gleichzeitig unvergesslichen Wahnsinnsfilm vielleicht lieber gar nicht erst sehen will.