von Sandro Danilo Spadini
Diesen Film zu beschreiben, seine fast magische Wirkung in Worte zu fassen, ist kein Leichtes. Deshalb zunächst die harten Fakten: Er heisst «Once», wurde in 17 Tagen mit einem gegen null
tendierenden Budget produziert, geschrieben und inszeniert hat ihn der junge irische Regisseur John Carney, er ist angesiedelt in den Strassen Dublins, handelt von der Freundschaft zwischen einem
Strassenmusiker und einer tschechischen Immigrantin, er transportiert seine Geschichte hauptsächlich über herzblutig schöne Singer-Songwriter-Musik, dauert bloss 85 erfüllte Minuten und hat
zahlreiche Preise, darunter den Oscar für den besten Original-Song, gewonnen. So weit also die Eckwerte dieser märchenhaften (Erfolgs-)Geschichte. Und jetzt zum schwierigen Teil.
In der Musik vereint
Im Grunde könnte man «Once» als langen Musik-Videoclip mit zwischen den einzelnen Stücken eingestreuten Dialoganteilen bezeichnen. Aber dann würde man dem Film natürlich auch Unrecht tun, hat
sich die Kategorisierung «Videoclip-ähnlich» doch über die Jahre eine eher ungünstige Konnotation erarbeitet; überdies wird in dem wenigen, was nicht singend gesagt wird, sehr viel über die bloss
«Guy» (Glen Hansard) und «Girl» (Marketa Irgolova) benannten Protagonisten mitgeteilt. Dass hier jedoch das meiste auf musikalischem Weg kommuniziert wird, ist nicht nur folgerichtig, sondern gar
unabdingbar für die Erfassung der Hauptfiguren. Denn beide leben sie für die Musik, lieben sie die Musik. Er, der Strassenmusiker, der bei seinem Vater im Staubsauger-Reparaturshop aushilft,
liebt sie mehr noch als jene Frau, die ihm das nie wieder richtig zusammengewachsene Herz gebrochen hat und die er in all seinen Liedern verdammt, verehrt, verflucht. Sie, die Pianospielerin, die
ihre Mutter, ihre Tochter und sich selbst mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten versucht, liebt sie mehr noch als ihren Ehemann, den sie in der tschechischen Heimat zurückgelassen hat und
den sie sich trotz allem insgeheim doch wieder an ihre Seite wünscht. Und beide lieben sie die Musik mehr noch als einander, wiewohl es bald klar wird, dass sie ungeachtet ihres Kampfes um die
vormals Liebsten etwas füreinander übrighaben. Zu einem anderen Zeitpunkt in ihrem Leben, vielleicht an einem anderen Ort auch, hätte durchaus etwas werden können aus den beiden. Doch jetzt passt
es nicht, jetzt muss die Romanze in der Musik sich erfüllen. Und wenn man diesen wunderschönen Klängen lauscht – seinem kräftigen Gitarrenspiel und seiner vor Schmerz bebenden Stimme, ihrem
dezenten Klavierspiel und ihrer sanften Stimme –, wenn man dabei in ihre Gesichter blickt und der authentischen Freude gewahr wird, so muss einem nicht bange werden um die beiden, so darf man sie
gleichwohl glücklich wissen.
Herz ist Trumpf
Es ist eine der grossen Stärken von «Once», dass hier Gegebenheiten, zumal die unverrückbaren, ohne lautes Lamentieren akzeptiert wird. Guy und Girl jammern nicht, beklagen sich nicht, haben
deshalb aber noch lange nicht resigniert, machen etwas. Machen das Beste draus. Und das Beste ist in diesem Fall gar nicht so schlecht. Und nur das Beste, das gar nicht so schlecht sein darf,
wünscht man ihnen auch von Herzen. Denn was hier auch keinen Platz hat, ist dieses selbstgerechte Künstlergehabe, das ähnlichen Filmfiguren jeweils die Sympathiewerte in den Keller zu treiben
droht. Die beiden Underdogs von «Once», er schätzungsweise schon in seinen späten Dreissigern, sie etwas jünger, sind denn auch nicht die von der bösen Welt verkannten Genies, die aus dem
Stegreif Aufnahmereifes absondern. Nein, hier muss hart am richtigen Ton gearbeitet, am passenden Text gefeilt werden – unter Herzblut, Schweiss und sogar mal einer Träne. Dieser Realismus ist
es, der «Once» in höchstmöglichem Masse von den leichtfüssigen Musicals herkömmlicher Prägung unterscheidet. Und selbstredend geht diesem kleinen Wunder auch der genreübliche Pomp ab. Was es mit
seiner Unmittelbarkeit aber an Herzerwärmung leistet, übersteigt trotzdem noch alles, was von diesem Genre in den letzten Jahren auf die Leinwand gelangt ist.