Perry Mason

 

Ein abgewrackter Privatdetektiv mit Alkoholproblem und Kriegstrauma, sehr schlechten Umgangsformen und voller zynischer Weltverdrossenheit: Nein, das ist definitiv nicht das, was man zu sehen erwartet hat, als vor rund fünf Jahren verkündet wurde, Starschreiber Nic Pizzolatto («True Detective») arbeite an einer von Robert Downey Jr. produzierten Ursprungsgeschichte zu Perry Mason – diesem so beliebten wie beleibten Anwalt aus dem Fünfziger- und Sechzigerfernsehen, dessen Mandanten samt und sonders unschuldig zu sein pflegten und der jeden einzelnen Fall gewann. Natürlich, der Name Pizzolatto musste hellhörig machen; schliesslich ist das keiner, der es glatt und clean mag, sondern vielmehr einer, bei dem es ordentlich zur Sache geht, wo sich erbarmungslos Abgründe menschlicher Grausamkeit auftun und schwarze Seelen in mondloser Nacht ihr gottloses Unwesen treiben. Aber Perry Mason ist nun mal eine in 271 Folgen und später in den Achtzigern und Neunzigern dann in 30 Spielfilmen modellierte Ikone eines braveren Fernsehzeitalters, quasi ein Columbo im Gerichtssaal. Der wird doch nicht... O doch, der wird. Und wie der wird, auch wenn Pizzolatto am Ende dann wegen Terminkollisionen gar nicht mehr dabei war und durch die «Friday Night Lights»-Schreiber Rolin Jones und Ron Fitzgerald ersetzt wurde.

Was Jones und Fitzgerald da kreiert und TV-Veteran Tim Van Patten («The Sopranos») und die türkische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven («Mustang») inszeniert haben, ist ein rabenschwarzer Noir und knallharter Hardboiled. Angesiedelt im prosperierenden Los Angeles nach der Grossen Depression und während der Prohibition, erzählt «Perry Mason» die medial gehypte Geschichte einer brutal schiefgegangenen Kindsentführung. Mason (Matthew Rhys aus «The Americans») soll im Auftrag des Anwalts E.B. Jonathan (John Lithgow) die Unschuld von dessen Mandantin beweisen und muss sich dabei durch ein Dickicht aus Klüngel und Korruption kämpfen und in einem Morast moralischer Verrohung waten. Mit wilder Lust zur eleganten Bildgewalt wird die pulsierende, brodelnde, hyperventilierende Stadt der gefallenen Engel in acht circa einstündigen Folgen noch etwas prächtiger und spektakulärer als das Atlantic City der zeitlich ähnlich verankerten Saga «Boardwalk Empire» in Szene gesetzt, derweil sich die etwas überladene und wankelmütige Story, in die auch noch ein bisschen Hollywood, eine Sektengeschichte und unvermeidlich zeitgeistig Rassen- und Genderthemen gepackt werden, eher schleppend entwickelt. Es braucht da ein bisschen Geduld und bisweilen auch den Langmut, diese Drehbuchschwächen wegzuschnippen wie eine fertig gerauchte Zigarette. Aber wenn es zwischendurch auch mal zäh und fad wird, so sind da nebst den fulminanten Schauwerten immer noch die fantastischen Darsteller: neben dem sowieso verlässlichen Rhys etwa Juliet Rylance als toughe Sekretärin Della Street, die hier nicht Perry anhimmelt, sondern lesbisch ist, oder Shea Wigham als hallodrihafter Sidekick, Chris Chalk, dessen Paul Drake einerseits schwarz und andererseits zunächst Streifenbulle ist, und nicht zuletzt die grandiose Tatiana Maslany («Orphan Black») in der Rolle der charismatischen Predigerin Sister Alice. Was für ein wilder Ritt diese kernig erwachsene HBO-Version von «Perry Mason» doch ist. Und in der nächsten Staffel sind dann sicher auch die Drehbücher etwas besser redigiert.