Gedanken aus dem feindlichen Schützengraben

Clint Eastwoods Oscar-nominiertes und Golden-Globe-prämiertes Zweitweltkriegsdrama «Letters From Iwo Jima» schildert aus japanischer Perspektive das sich anbahnende Kriegsende.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Unternehmen war ein gewagtes und gewaltiges: Mit gleich zwei jeweils über zweistündigen Filmen wollte der 76-jährige Clint Eastwood die legendäre Schlacht auf der japanischen Insel Iwo Jima aufarbeiten, die im Februar 1945 das Ende des Pazifik-Konflikts im Zweiten Weltkrieg einleitete. Und nun, da mit «Letters From Iwo Jima» der zweite Teil und somit das Mammutprojekt als Ganzes vorliegt, kommt man abermals nicht umhin, den Hut vor dem zweifachen Oscar-Preisträger zu ziehen. Nach «Flags of Our Fathers», der bei uns im Dezember in die Kinos kam und die Geschehnisse rund um und im Anschluss an die Schlacht aus amerikanischer Perspektive schilderte, wirft Eastwood im Nachfolger einen erneut ungeschminkten Blick in den japanischen Schützengraben.

Zähflüssiger Auftakt

In japanischer Sprache gedreht und anders als «Flags» mit Ausnahme einiger Rückblenden komplett auf der umkämpften Insel spielend, befasst sich «Teil zwei» gerade auch mit dem Vorspiel zum Gefecht. Die erste, überaus dialogintensive Stunde des wiederum «farbenarm» inszenierten Films ist so von strategischen Beratungen der Offiziere wie auch von privaten Gesprächen der Soldaten geprägt. Die Hierarchiekette rauf- und runterkletternd und aus dem Off aus den titelgebenden Briefen an die Angehörigen daheim zitieren lassend, dominiert dabei freilich etwas zu deutlich Eastwoods Bemühen, dem einstigen, kinematografisch so oft geächteten Kriegsgegner ein menschliches Gesicht zu geben (wobei aber natürlich auch der eine oder andere Quotensadist nicht fehlen darf). Seinen Reiz bezieht der sehr ruhige, um nicht zu sagen: höchst langatmige Auftakt ferner zur Hauptsache aus der Gewissheit des bevorstehenden Chaos und dessen historischer Tragweite. Über eine ganze Stunde die Spannung aufrechtzuerhalten vermag diese Gewissheit indes kaum. Vielmehr stellt der Prolog für die Geduld des «neutralen» und militärisch wenig interessierten Zuschauers eine harte Belastungsprobe dar, während welcher sich wohl so mancher ob der Entscheidungen der Academy und der Hollywood-Auslandpresse zu wundern beginnt, diesen Film für den Oscar zu nominieren respektive mit dem Golden Globe auszuzeichnen.

Beklemmender Pflichtstoff

Fast befreiend – notabene filmisch gesprochen – wirkt sich dann die Invasion der Amerikaner aus. Den Fokus weniger auf die Zerstörung gerichtet, werden nun zunehmend berührende, beklemmende und bedenkenswerte Sequenzen geboten. So etwa, wenn patriotischer Wahnsinn durchbricht und ein Truppenführer an seine Untergebenen appelliert: «Nicht einer von Ihnen darf sterben, bis er nicht zehn Feinde getötet hat.» Oder wenn das übersteigerte Ehrgefühl der japanischen Kämpfer aufflackert und ein Oberst im Angesicht der sich abzeichnenden Niederlage seinen General um die Erlaubnis bittet, sich das Leben nehmen zu dürfen. Oder aber auch, wenn während des Feuergefechts banalste Dinge ergeben und sich inmitten des bestialischen Blutbads geradezu bizarre Bilder auftun. Und schliesslich, wenn sich ebenda urplötzlich ein genuin menschliches Antlitz zeigt und ein japanischer Offizier einen verwundeten US-Soldaten in einen besänftigenden Smalltalk verwickelt. Gleichwohl wie ein Keulenschlag wirkt dann aber eine Sequenz gegen Ende, wo für einmal amerikanische Krieger zu inhuman Killermaschinen werden und zwei wehrlose Gefangene ohne Not kaltblütig abknallen. In solch zutiefst erschütternden Szenen wird denn auch die Botschaft des Gesamtprojekts offenbar, die da lautet, dass sich unten auf dem Schlachtfeld Richtig und Falsch auflösen und sich dort Gut und Böse nicht in von oben vorgegebenen politischen Haltungen, sondern einzig im Menschen selbst zeigen. Zusammen mit «Flags of Our Fathers» konstituiert «Letters From Iwo Jima» aufgrund dieser ideologischen Distanz sowie seiner inszenatorischen Brillanz so ein monumentales Werk, das trotz einigen Kürzungspotenzials alle Hochachtung verdient, von den Filmhistorikern aber tendenziell mehr geschätzt werden wird als vom Publikum. Denn letztlich sind Eastwoods beide Filme vor allem wichtig – mehr Pflichtvisionierungen also, mit denen es sich halt oftmals so verhält wie mit der Pflichtlektüre in der Schule: Man weiss, dass diese Werke brillant sind, man erkennt diese Brillanz vielleicht sogar – doch die Begeisterung hält sich in Grenzen, muss man sich doch den Zugang bisweilen sehr hart erarbeiten.