Hinfallen und aufstehen. Abstürzen und auferstehen

Mickey Rourkes erschütternd authentisches Spiel in dem Sportlerdrama «The Wrestler» gehört zu den grössten Schauspielerleistungen der Filmgeschichte.

 

von Sandro Danilo Spadini

Jetzt ist er wieder da. Mickey Rourke ist wieder da. Gealtert, gezeichnet, geschlissen von einem falsch gelebten Leben zwar, aber so gut wie nie. Er war hingefallen, war abgestürzt und ist wieder aufgestanden, wieder auferstanden für die Rolle seines Lebens, für die Rolle von Randy «The Ram» Robinson. Mickey ist Randy, der abgewrackte Wrestler. Und Randy ist Mickey, der ehemalige Boxer. Schauspieler und Figur verschmelzen, werden eins, untrennbar. Wir sehen einen vormaligen Superstar der Achtzigerjahre, der die Reste seines Ruhmes fast aufgezehrt hat; bloss ein paar Krümel sind noch da. Wir sehen ihn bei Schaukämpfen in schäbigen Turnhallen, wo er für ein Butterbrot die Überbleibsel seiner Gesundheit verheizt; der Körper steht vor dem Kollaps. Wir sehen ihn ganz unten, in seiner Baracke, im Stripclub, im Supermarkt hinter der Fleischtheke; eine gewisse menschliche Grösse hat überlebt. Wir sehen Randy – und denken an Mickey, den kommenden Superstar der Achtzigerjahre.

Fremde Gefilde

«The Wrestler» ist ein Trip in eine bizarre und abgründige Welt, die zugleich voller Schönheit ist. Gedreht hat dieses grosse Wunder von einem kleinen Film der New Yorker Darren Aronofsky – jener Mann also, der uns im Wissenschaftlerdrama «Pi», dem Jahrhundert-Drogenfilm «Requiem for a Dream» und der Fantasyfabel «The Fountain» schon dreimal zuvor auf so faszinierend verstörende Reisen in fremde Gefilde geschickt hat. Aronofsky ist unglaublich, ist zweifelsohne einer der aufregendsten Regisseure der Gegenwart, was er hier unter herausfordernden Bedingungen mit einem ungeheuren Gespür für den richtigen Ton und das passende Bild abermals unterstreicht. Fast wie ein Dok-Filmer geht er in der mit zahlreichen Laiendarstellern besetzten 6-Millionen-Dollar-Kleinproduktion zu Werke, folgt dem Subjekt seines Interesses überallhin, zu seiner entfremdeten Tochter, in den Ring, in die Niederungen, auf gelegentliche Höhen. In ungekünstelter Optik erscheint ein in New Jersey vorgefundenes Aussen, das plastisch das Innen der Hauptfigur spiegelt: abgehalftert, ausgemergelt, abbruchreif. Keine Spur von Voyeurismus schwingt dabei mit und schon gar nicht Häme. Kein Mitgefühl wird geheischt und nicht einmal Verständnis gefordert. Aronofsky stellt dar, ohne wimmernde Geigen im Hintergrund und ohne wortgewandte Lebensweisheiten im Vordergrund, ohne Falschheit und ohne Schmus, er stellt einfach dar. Stellt dar, wie der tief solariumgebräunte Randy mit seiner absurden blonden Mähne in der kleinstformatigen Parallelwelt der Ex-Stars für kurze Momente wieder zum Helden einer Freakshow namens Wrestling emporsteigt – und findet Wärme und Aufrichtigkeit an Orten, wo man sie am wenigsten vermuten würde. Noch den armseligsten Minuten im Leben von Randy und all der anderen gescheiterten Existenzen gewinnt Aronofsky eine befremdliche Schönheit ab, die sich aus der Authentizität und der nicht kaputtzukriegenden Grösse der Figuren speist. Die Stripperin Cassidy (Marisa Tomei), die ausrangierten Kampfmaschinen, eben Randy – sie haben in ihrem Leben wohl alles falsch gemacht, was da falsch zu machen ist. Aber sie hadern nicht, klagen nicht, wollen keine Hilfe, kein Mitleid, nicht aus Stolz, nicht aus Resignation. Sie leben jetzt einfach dieses Restleben. Und sie sind Helden.

Authentisch und gross

Fast alles falsch gemacht in seinem Leben hat auch Mickey, und ein Held ist er ebenfalls. Nein, den Oscar hat er nicht bekommen. Aber immerhin den Golden Globe – und dort haben sie, die Branchenkollegen, ihm heftiger zugejubelt als jedem anderen, mehr noch als dem toten Heath Ledger. Mickey hat ihnen dann gedankt, hat – noch immer Exzentriker – seinen Hunden gedankt, hat Aronofsky gedankt, der ihm gegen alle Widerstände diese Chance gegeben hat, obwohl – eigentlich unvorstellbar – die Rolle gar nicht speziell für Mickey geschrieben wurde. Zu danken haben aber vor allem wir: für eine der authentischsten und grössten Schauspielerleistungen der Filmgeschichte. Sir Ben Kingsley hat es bei den Oscars auf den Punkt gebracht: «Wir sind besser dran mit dir im Ring. Willkommen zurück, Mickey Rourke!»