von Sandro Danilo Spadini
Geschichte wiederholt sich, heisst es, und es ist insofern wohl nicht zu weit hergeholt, Parallelen zu sehen zwischen dem Zustand der amerikanischen Gesellschaft von heute und jener des Jahres
1968. Freilich präsentierte sich vor fast 40 Jahren die Lage in dem damals wie heute kriegsmüden Land ungleich zugespitzter: Rassenunruhen, Zukunftsängste und die anrollende Hippie-Revolution
verschärften die Teilung im Innern, derweil eine halbe Million US-Soldaten im fernen Vietnam einen nicht zu gewinnenden Krieg ausfocht. Wo heute aber die politische Wende noch in relativ weiter
Ferne ist und die potenziellen Retter und Befreier und Garanten für ein geeintes Amerika sich erst am Formieren sind, hatte sich 1968, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, bereits ein
charismatischer Hoffnungsträger herauskristallisiert. Senator Robert F. «Bobby» Kennedy stand am 4. Juni 1968 nach seinem Sieg bei den kalifornischen Vorwahlen kurz davor, die Nominierung der
Demokratischen Partei zu gewinnen und so wie acht Jahre zuvor sein Bruder John gegen Richard Nixon um den Einzug ins Weisse Haus zu kämpfen. Ein Schuss aus der Waffe eines Fanatikers, abgefeuert
in der Küche des Ambassador-Hotels zu Los Angeles, brachte den Hoffnungsschimmer aber jäh zum Erlöschen und tötete mit Robert F. Kennedy auch die Träume einer ganzen Generation. So will es
jedenfalls die Legende, an der nun Emilio Estevez’ Allstar-Produktion «Bobby» mit viel Pathos auch kinematografisch weiterstrickt.
Ambitioniert und politisch
Gewiss ist vieles im Zusammenhang mit Bobby Kennedy in den letzten vier Jahrzehnten verklärt worden – und ob der gleichsam zum Messias stilisierte vormalige Justizminister überhaupt erst die
Nominierung seiner Partei erhalten, geschweige denn das Rennen gegen Nixon gewonnen hätte, ist aus historischer Sicht durchaus fraglich. Gleichwohl hat ein Film wie «Bobby», der den Mythos noch
zu steigern sucht, seine Legitimation. Eine objektive Sicht der Dinge ist hier nämlich nicht intendiert. Vielmehr wird in dem dialogintensiven Drama dezidiert Stellung zum damaligen und also auch
heutigen Geschehen bezogen. Die Art und Weise, auf welche Estevez dies bewerkstelligen will, ist freilich höchst ambitioniert. Angesiedelt am Tag der Ermordung Kennedys im «Ambassador», streift
sein Film in der Tradition des Greta-Garbo-Klassikers «Grand Hotel» oder auch von Neil Simons «California Suite» die Schicksale von 22 durchweg prominent besetzten Hotelgästen und -angestellten,
nimmt Anteil an deren Ängsten und Träumen, spürt Intrigen und Konflikte auf, begleitet sie auf Abenteuern und Höllenfahrten und lässt sie bisweilen aufeinander treffen oder
zueinanderfinden.
Enthusiasmus und Herzblut
Erstaunlich ist dabei, wie gekonnt der als Schauspieler gescheiterte und als Regisseur noch recht unerfahrene Estevez («The Breakfast Club») die hohe Kunst beherrscht, ein solch vielköpfiges
Orchester zu dirigieren. Mit seelenruhiger, exzellent getimter Inszenierung und dank des fabelhaften, von ihm selbst verfassten Skripts umschifft er meist souverän die latente Gefahr von Chaos,
Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit und erschafft ein faszinierendes und oftmals berührendes Kaleidoskop von persönlichen Anekdoten und historischen Impressionen. Während die Titelfigur nur in
Archivaufnahmen zu sehen ist, spiegelt sich so etwa der Rassenkonflikt in der Küche des Hotels wider, werden zwei junge Wahlkampfhelfer auf einen LSD-Trip geschickt, ist der Hotelmanager in einem
Liebestriangel gefangen, schwelgt der einstige Portier in Erinnerungen oder versucht ein Jüngling durch Scheinheirat der Kriegseinberufung zu entgehen. Demi Moore, Sharon Stone, Anthony Hopkins,
William H. Macy, Heather Graham, Helen Hunt, Ashton Kutcher, Lindsay Lohan, Laurence Fishburne sowie Estevez selbst und dessen Papa Martin Sheen sind einige der Stars, die diesen fiktiven
repräsentativen Zeitzeugen ein Gesicht geben und durch ihren Bekanntheitsgrad dem Film gerade anfangs etwas auf die Sprünge helfen. Bei aller Wertschätzung nicht abzustreiten ist, dass «Bobby»
derlei mitunter durchaus nötig hat. Doch beherrschend ist und bleibt das Gefühl, dass Estevez dieser Film wirklich wichtig war. Und wo derart viel Enthusiasmus und Herzblut drinsteckt, darf man
vereinzelte Schwächen immer verzeihen.