Stern in kalter, heiliger Dunkelheit

Joaquin Phoenix als Johnny Cash und Reese Witherspoon als June Carter treffen in James Mangolds «Walk the Line» jeden Ton und lassen uns so an einer wunderschönen Liebesgeschichte teilhaben.

 

von Sandro Danilo Spadini

Erst Ray Charles, dann Kurt Cobain, nun Johnny Cash und bald Bob Dylan sowie Janis Joplin: Der erste Blick auf Hollywoods neu gewonnenes Interesse an Musikerbiografien mag argwöhnisch stimmen. Doch Obacht! Was zunächst nach einer neuerlichen Sparübung in Sachen Kreativität ausschaut, erweist sich bei Lichte als vergleichsweise aufregend. Hatte Taylor Hackford mit «Ray» noch ein ganz traditionelles Biopic gedreht, dessen Reiz sich fast ausschliesslich aus der Ausnahmeleistung von Jamie Foxx bezog, verfolgte bereits Gus Van Sant mit «Last Days» einen völlig anderen Ansatz: Cobain hiess hier nicht mal Cobain, und dokumentiert wurden in beinahe meditativer Stille bloss die letzten Zuckungen des Nirvana-Frontmanns auf Gottes schöner Erde. Gewagt auch das Konzept, das sich Todd Haynes für «I’m Not There» ausgedacht hat: Sieben verschiedene Darsteller – nebst Richard Gere, Colin Farrell und Adrien Brody auch ein kleiner schwarzer Junge sowie Cate Blanchett, Julianne Moore und Charlotte Gainsbourg – sollen hier Bob Dylan verkörpern. In puncto Janis Joplin konkurrieren derweil noch zwei separate Projekte. Ob wir dereinst Rockröhre Pink oder doch Renée Zellweger auf der Leinwand «Me & Bobby McGee» singen hören werden, wird sich weisen. Einstweilen erschallen von dort ohnehin erst einmal Country-Klänge, mit beachtlicher stimmlicher Präsenz zum Besten gegeben von einem grandiosen Joaquin Phoenix als Johnny Cash und einer überragenden Reese Witherspoon als dessen Ehefrau June Carter in James Mangolds dreifach Golden-Globe-prämiertem und enttäuschenderweise nur fünffach Oscar-nominiertem Hit «Walk the Line».

Mensch in Schwarz

Erfreulich hierbei ist, dass sich auch Mangold («Identity») nicht mit einer herkömmlichen, penibel die Karriere-Hauptstationen abklappernden Musikerbiografie à la «Ray» bescheiden mag. Das bereits vor über drei Jahren in die Wege geleitete Projekt befasst sich weniger mit dem Künstler als vielmehr mit dem Menschen in Schwarz. Umrahmt von den gesanglichen Einlagen stehen Cashs familiäre Konflikte, seine Alkohol- und Tablettensucht und vor allem seine Liebe zu June Carter im Fokus. Aufgewachsen auf den Baumwollfeldern in Arkansas, der Vater (stark: Robert Patrick) ein Säufer, die Mutter (erstmals: Grammy-Preisträgerin Shelby Lynne) eine Heilige, hat Cash wie Ray Charles bereits in jungen Jahren einen schicksalsbestimmenden Schlag zu verkraften: Der Unfalltod seines Bruders wird einer der vielen Dämonen nähren, gegen die er zeitlebens mal erfolgreich, mal erfolglos ankämpfen wird, die ihn letztlich aber wohl auch zu tragischer wie genialischer Grösse erhoben haben.

Liebevolles Porträt

Trotz zahlreicher Zeitsprünge gleichsam fliessend widmet sich Mangold darauf aufbauend in meist freundlich hellen Farben den himmlischen Höhen und teuflischen Tiefen in Cashs Leben bis 1968: dem Militärdienst in Deutschland, dem Abstrampeln als junger Familienvater, den ersten Aufnahmen, dem Touren mit Elvis, Roy Orbison und Jerry Lee Lewis, dem Abdriften in Suff und Sucht, den Krisen mit seiner ersten Ehefrau Vivian (Ginnifer Goodwin), der Nacht im Gefängnis, dem Gig im Folsom Prison, dem Ringen um die Anerkennung seines verbitterten Vaters und June, dem jüngsten Spross der legendären Carter-Familie. June, die ihm über das Radio schon als Zehnjährige das Herz geraubt hat und deren schlagzeilenträchtigen Werdegang er stets genau verfolgt hat. Immer wieder June. Bis die Liebe zum Feuerring wird, der brennt, brennt, brennt. Denn «Walk the Line» ist in erster Linie ein Liebesfilm – ein wunderschöner, herzlicher, zärtlicher Liebesfilm, erzählt mit Respekt und mit Mut zur Aussparung, ohne Hast, nicht von Nummer zu Nummer hetzend, mitunter innehaltend, sich den kleinen Dingen widmend und so den Mythos Cash einfangend. Bisweilen lässt Mangold die Musik über längere Zeit verstummen, auf dass sich die Darsteller entwickeln können. Und irgendwann, bald schon, geschieht Magisches: Joaquin Phoenix verschwindet, und der Mann in Schwarz erscheint. Wie weiland bei Oliver Stones «Nixon» marginalisiert sich auch hier nach und nach der einigermassen grosse physiognomische Unterschied zwischen Schauspieler und historischer Figur: Hopkins war Nixon, Phoenix ist Cash. Und Mangold gelingt damit ein liebevolles, wenn auch nicht das definitive Porträt eines in seiner Zerrissenheit unendlich faszinierenden Menschen, eines bereits zweieinhalb Jahre nach seinem Tod so schmerzlich vermissten Künstlers, über den schon viel, jedoch nie wieder so etwas Schönes geschrieben wurde wie von Kris Kristofferson im Vorwort zu Cashs Autobiografie: «Ich liebe dich, John, / In der kalten, heiligen Dunkelheit / Hast du immer heller geleuchtet als ein Stern.»