Noch lange nicht Zeit, das Handtuch zu werfen

Der «Rocky»-Ableger «Creed» von Regietalent Ryan Coogler hat alles, was man sich von ihm wünschen kann: Herz, Schneid, Verstand und ein Hauch Nostalgie. Und ja: Sylvester Stallone ist grossartig darin.

 

von Sandro Danilo Spadini

Und dann vergisst er tatsächlich seinen Trainer und seinen Sparringspartner: Als Sylvester Stallone am Sonntag unter Standing Ovations den Golden Globe als Bester Nebendarsteller für die Rolle in «Creed» annimmt, dankt er zwar seinem «imaginären Freund» Rocky Balboa, «dem besten Freund, den ich je hatte». Aber Regisseur und Autor Ryan Coogler lässt er ebenso wie Co-Star Michael B. Jordan unerwähnt. Und wiewohl Sly in der Werbepause sein Versäumnis nachholt, ist das doch ein schlimmer Fauxpas. Denn was die beiden noch nicht 30-jährigen Afroamerikaner hier geleistet haben, ist immerhin so was wie die Quadratur der Linse: Das Team aus dem bewegenden Drama «Fruitvale Station» hat es doch wirklich geschafft, Frische in das von Standardrepertoires und Routineübungen verkalkte Boxfilm-Genre zu bringen. Und das notabene, ohne dessen ikonischsten Vertreter zu dekonstruieren oder gar zur Karikatur zu degradieren, was gewiss ein Leichtes gewesen wäre – zumal der fast 70-jährige Stallone ja schon fies belächelt wurde, als er noch im Saft stand. Aber was bringen Coogler und Jordan ihm nach all dem Spott stattdessen entgegen? Respekt.

Ab ins Rocky-Land

Stallone hat ihnen das mit seiner Karrierebestleistung vergolten – mit einer Leistung, die man ihm trotz dieses herzergreifenden Auftritts damals in den Neunzigern in «Cop Land» nicht zugetraut hätte. Dabei dauert es eine Weile, bis er von der Leinwand heruntermurmeln darf. Die gehört erst mal Michael B. Jordan alias Adonis Johnson – alias Adonis Creed. Aufgewachsen in Heimen, Mutter verstorben, Vater unbekannt, ist sein Weg nach oben der steinige des Underdogs. Erstmals etwas Gutes geschieht ihm, als ihn die Witwe des Vaters aus dem Jugendknast holt; und dieser Vater, er war eben alles andere als ein Unbekannter, er war Apollo Creed, «der grösste Boxer aller Zeiten», dieser Ali-Klon, der im ersten «Rocky» den «Italian Stallion» besiegt, ihm im zweiten unterliegt und im vierten von der Sowjet-Kampfmaschine Ivan Drago totgeschlagen wird. Sein Spross also ist Adonis, und klar mag so einer nicht im Büro hocken. Lieber boxt er in einem finsteren Loch in Tijuana. Und als das nirgends hinführt, macht er sich von L.A. auf nach Philadelphia. Philly, das ist Jazz, das ist Shabby Chic, das ist Cheesesteak, das ist Rocky-Land. Der ewige Champ hat nun aber eine Trattoria und nicht den Ehrgeiz, dem latent wütenden Jüngling seine Tricks zu zeigen. Er ist ja auch nicht der lebensweise Typ, sondern eher etwas lebensmüde, wobei er aber mit sich im Reinen scheint. Wie Stallone das spielt, ist wieder sagenhaft rührend, einnehmend, umwerfend. Aber wie seine Figur reklamiert er nicht das Scheinwerferlicht. Das gehört Jordan alias Johnson alias Creed, den Rocky dann selbstredend doch unter seine Fittiche nimmt – und mit dem er eine echt und herzlich wirkende Beziehung aufbaut, aus der beide Kraft tanken werden, wenn sie mal wieder das Handtuch werfen wollen.

Den Klischees ausgewichen

Diese Underdog-Story, sie wurde hundertfach erzählt. Doch Coogler gewinnt auch ihr neue Facetten ab. So öffnen sich Adonis dank seines prominenten Nachnamens, den er freilich erst auf Druck der Promotoren preisgibt, schnell die Türen; er wird zum Emporkömmling, der nach bloss einem Profikampf gegen den ungeschlagenen, ungeschlachten Titelhalter aus Liverpool (Andre Ward) kämpfen darf. Das ist das Grandiose hier: Immer wenn man glaubt, ein Klischee kommen zu sehen, weicht Coogler ihm noch rechtzeitig aus. So in der geradezu zärtlichen Geschichte einer jungen Liebe, die nicht nur deshalb eine Bereicherung ist, weil sie uns die wundervolle Tessa Thompson schenkt; so im Ton, der zwar nicht von polterndem Pathos und bebenden Beats beherrscht wird, aber trotzdem muskulös ist; so im Plot, der es beim Unwahrscheinlichen belässt und mit dem Unmöglichen nur flirtet; und so auch im Umgang mit dem eigenen Mythos, dem Coogler huldigt, ohne ihn zu überhöhen. Herz, Schneid, Verstand und eine Prise Nostalgie: Es bleiben keine Wünsche offen in «Creed», der nach Punkten mehr Entwicklungsgeschichte denn Sportfilm ist. Und so geht nun alles den üblichen Hollywood-Gang: Teil zwei ist in Planung; und Regiehoffnung Ryan Coogler verdingt sich als Nächstes für einen Superheldenfilm.