von Sandro Danilo Spadini
Erst mal ist die Leinwand ganz lange schwarz. Und still ist es. Dann ein Licht von Ferne, langsam näher kommend. Dazu eine schrill-schaurige Kakofonie, allmählich anschwellend. Schliesslich eine
Stimme: «Ba-ba-ba. Da-da-da. Ga-ga-ga.» Und endlich: «Feel. Film. Girls.» Ein Auge erscheint. Die Leinwand wird weiss: «Under the Skin». Und was wir neben dem Titel des Films jetzt auch schon wissen: Es wird sonderbar sein, was Regisseur
Jonathan Glazer («Sexy Beast», «Birth») da nach zehnjähriger Pause in seinem Drittling zeigen wird. Bald nach dem Vorspann, der die Reise zur Erde samt Menschwerdung versinnbildlichen könnte,
lässt der Londoner seine Heldin von der Leine: Scarlett Johansson, zunächst nur als schwarze Silhouette vor schneeweissem Hintergrund, wie sie eine Tote auszieht und sich deren Kleider überzieht.
Aber dann wirds realer: Scarlett Johansson hinter dem Steuer eines Wagens. Im Shoppingcenter. Am Lippenstift-Auftragen. Sich bereit machend für die Jagd. Umherfahrend in den schottischen
Highlands und den Glasgower Suburbs. Beobachtend. Dann hält sie an. Fragt einen Mann nach dem Weg. Fährt weiter. Hält an. Fragt einen anderen Mann nach dem Weg. Nimmt ihn mit. Quatscht mit ihm.
Flirtet. Bringt ihn zu einem Haus. Zieht sich aus. Wartet. Reizt. Schaut. Bis sie ihn in der Dunkelheit untergehen sieht.
Eine frische Perspektive
An Metaphern und Symbolen mangelt es hier nicht – das Ticket für die intellektuelle Reise ins Parabelland ist schon in unserer Hand. Doch viel ist es dann nicht, womit wir unser Hirn füttern
könnten. Geredet wird kaum. Erzählt wird wenig. Erklärt wird nichts. Und sowieso offen lässt Glazer Herkunft und Motiv seiner Protagonistin, der er nicht einmal einen Namen gibt. Da sein Film
aber auf dem surrealistischen Roman «Die Weltenwanderin» von Michel Faber beruht, ist immerhin das in Erfahrung zu bringen: Scarlett Johanssons Figur ist eine Ausserirdische, die zur Erde
geschickt wird zum Beutezug auf alleinstehende Männer. Warum sie das tut, ist indes nur im Buch klar und von Bedeutung. Denn Glazer hat seine Vorlage bis auf die Knochen reduziert. Hat ihr die
politische Dimension und den satirischen Ton abgestreift. Sodass die Geschichte nun so nackt dasteht wie Scarlett Johanssons Sirene, wenn sie die teils von Laiendarstellern verkörperten Männer
ins Verderben lockt. Dass die Kerle ihr reihenweise auf den Leim gehen, ist kein Wunder. Denn während Johansson zuletzt in «Her» noch unsichtbar blieb und nur als Stimmakrobatin bezirzte, ist sie
hier meist stumm und verhext mit phänomenaler Präsenz. So sind es diesmal denn auch eher ihre Augen, die kommunizieren. Durch sie möchte uns Glazer die Welt zeigen. Aus der frischen Perspektive
der Erdenbesucherin. In endlosen Einstellungen erkundet sie uns, während wir aus ihr schlau werden möchten: Sie starrt. Wir starren. Sie staunt. Wir staunen. Sie versteht nichts. Und wir
verstehen noch weniger. Frustrierend ist das bisweilen. Aber auch faszinierend: uns selbst so zu sehen. Und allmählich zu erkennen, wie komisch und banal das oft ist, was wir so tun.
Polanski, Lynch, Kubrick
Als banal wurde mancherorts auch Glazers Film taxiert. An den Filmfestspielen von Venedig etwa hielten sich Applaus und Pfiffe so ziemlich die Waage. Und der Kritiker vom «San Francisco
Chronicle» hielt pointiert fest, «Under the Skin» verberge weniger seine Bedeutungen als vielmehr seine Bedeutungslosigkeit. Für einen rund 100-minütigen Film scheint das in der Tat ein bisschen
wenig, was da passiert. Da müsste doch noch etwas sein. Aber was? Um Einsamkeit und Sexualität dürfte es Glazer gehen, das wird gerade in der zweiten Hälfte offenbar, wenn sich die Fremde zu
assimilieren versucht und aus dem nachtschwarzen Albtraum in die nebelverhangene Realität tritt. Der Rest freilich ist Atmosphäre in britischem Grau, die durch die drohenden Klänge von Debütant
Mica Levi befeuert wird: experimentales Kunstkino mit einem Anflug von Polanski, Lynch und Kubrick in der kalten Luft. Man muss das erahnen. Erfühlen. Erfahren. Aber dazu muss man sich auf diesen
gespenstischen Film einlassen. Dann geht «Under the Skin» wirklich unter die Haut.