Gib mir Hass, und ich gebe dir Wut

Fatih Akins Neonazi-Drama «Aus dem Nichts» hinterlässt auch dank Diane Kruger in ihrer ersten rein deutschsprachigen Rolle bleibenden Eindruck – trotz manch grobschlächtigem Moment.

 

von Sandro Danilo Spadini

Kennen gelernt haben sie sich, als sie als Studentin bei ihm Gras kaufte. Geheiratet haben sie dann im Knast, in einem schmucklosen Gemeinschaftsraum, unter prollig-plumpem Pipapo. Aber als wir Katja (Diane Kruger) und Nuri (Numan Acar) das nächste Mal sehen, da sind sie älter, reifer jetzt, Eltern eines Fünfjährigen, draussen ausserhalb Hamburgs hausend, BMW in der Garage, Multidienstleistungsbüro in der Innenstadt. Und ebendort ist es, wo es knallt, wo das Leben aufhört und das Drama beginnt, wo die Liebe stirbt und der Hass siegt. Es ist bereits dunkel, als Katja von einem Nachmittag im Hamam zurückkehrt, um Nuri und den kleinen Rocco abzuholen. Doch die Strasse vor dem Geschäft ist abgesperrt – überall Polizei, ein riesiger Menschenauflauf. Es habe eine Explosion gegeben, heisst es. Und später, in einer umfunktionierten Turnhalle: «Es hat Tote gegeben, ein Mann und ein Kind. Wir konnten die Leichen nicht identifizieren.» Aber Katja weiss es, und Katja sinkt zu Boden und windet sich und schreit. Und schreit. Und schreit. Dann die Einblendung: «Aus dem Nichts».

Hart, rau, spröde

In dieser Vortitelsequenz schon sind die Stärken ebenso wie die Schwächen von Fatih Akins neuem, neuntem Spielfilm angelegt, der in Cannes Premiere feierte und der deutsche Hoffnungsträger für die kommenden Oscars ist. So ist da auf der einen Seite Diane Kruger, die in ihrer ersten rein deutschsprachigen Rolle eine Parforceleistung par excellence hinlegt; da ist auf der anderen Seite aber auch manch hölzerner Spielkamerad, bei dem man sich nicht so recht vorzustellen vermag, wie er in einer solchen Produktion gelandet ist. Vor allem aber ist da bereits diese Ehrlichkeit, diese Echtheit. Sie sind ebenfalls in Krugers uneitlem Spiel verankert, mehr aber noch in einer Bildsprache, wie man sie von Akin von früher her kennt: hart, rau, spröde. Das soll einen mitten ins Geschehen ziehen, einen involvieren, einem den Atem abschnüren ob all der Grausamkeit: der bereits gezeigten und der schon angekündigten. Und oft genug tut es das auch; aber bisweilen, ja bisweilen denkt man dann auch: So, genug, wir habens kapiert. «Kurz und schmerzlos» oder «Gegen die Wand» sind Titel von Akins Filmen, «Aus dem Nichts» heisst dieser; «In die Fresse» würde aber auch passen, so plakativ und grobschlächtig ist das nämlich in seinen miesesten Momenten. «Was sie sehen werden, sind keine Menschen mehr. Das sind Leichenteile», sagt der Kommissar etwa mit Grabesstimme, als Katja verlangt, ihre Liebsten zu sehen. Das ist dann auch ihr zu viel. Also zieht sie im Schlafzimmer eine Line Koks hoch, derweil draussen der Regen an die Verandatür hämmert und in der rauchverhangenen Stube die hexenhafte Mutter mosert, deren Partner Büchsenbier kippt und Nuris kurdische Eltern über eine Überführung der Leichen in die Türkei sinnieren. Ebenso noch im der Trauerbewältigung gewidmeten tristesseüberströmten Kapitel «Familie» auf dem Programm: Folienrauchen, anklagende Worte der Mutter, schuldzuweisende Worte der Schwiegermutter, aufgeschlitzte Pulsadern und Katjas Idee aus dem Nichts, dass das keinen islamistischen, terroristischen und auch keinen kriminellen Hintergrund hatte, sondern: «Das waren Deutsche. Das waren Nazis.»

Clever komponiert

Und als sie das bestätigt bekommt, beginnt Kapitel 2: «Gerechtigkeit». Jetzt folgt die Gerichtsverhandlung. Alles sehr ausführlich, aber da muss man durch, das erfüllt dann schon seinen Zweck. Akin hat dazu den NSU-Prozess vor Ort verfolgt, das vertiefte Wissen und Interesse sind augenfällig. Und was man auch merkt: Akin teilt Katjas Wut. Auch daraus zieht der Film seine Unmittelbarkeit. Aber Wut ist eben nicht immer der beste Ratgeber. Dass Akin hier den Anwalt des Neonazipaars (Johannes Krisch) als Ekelpaket-Karikatur zeichnen muss – das hätte es zum Beispiel wirklich nicht auch noch gebraucht. Andererseits: In Zeiten von AfD und NSU ist womöglich kein Platz mehr für Subtilität, muss man vielleicht tatsächlich derart deutlich werden und das Offensichtliche ausdeutschen: dass es hier sicher nicht «zwei Seiten der Geschichte» gibt. Und überhaupt: Akin entschädigt uns für diese Unbilden am Ende reich. Gerade auch im letzten, mit «Das Meer» betitelten Teil. Hier zeigt sich, was für ein clever komponierter Film das ist – ein Film, der trotz uramerikanischer Prämisse sehr europäisch, um nicht zu sagen: sehr deutsch geworden ist. Und ein auch Film, der immer besser wird – und der, wenngleich er politische Fragen und moralische Antworten schuldig bleibt, tiefen Eindruck hinterlässt.