Das Glück auf Pump gekauft

Der psychologische Thriller «The Nest» schildert stilistisch messerscharf und hochpräzise konstruiert das schleichende Auseinanderfallen einer statusbewussten Familie in den Achtzigern und deren Abgleiten in eine Spirale aus Abscheu, Wahn und Verzweiflung.

Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Eigentlich deutet nichts, was in den ersten paar Minuten von Sean Durkins psychologischem Thriller «The Nest» geschieht, darauf hin, dass hier etwas im Busch oder gar im Argen sein könnte. Wir bekommen da die O’Haras vorgestellt, eine recht perfekte vierköpfige Familie, die in irgendeinem amerikanischen Vorort ihren wenig verfänglichen täglichen Routinen nachgeht. Alles ganz normal, alles ziemlich langweilig – eigentlich. Doch da war eben auch diese allererste Einstellung: die Kamera aus einiger Entfernung stoisch auf das Haus der O’Haras gerichtet. Und irgendwie wirkte das verdammt bedrohlich, auf eine Polanski-hafte Art beunruhigend und ein wenig an David Lynchs «Lost Highway» gemahnend, auch so ein Film, in dem die eigenen vier Wände mit hoher psychologischer Bedeutung ausgestattet werden. Und in der Tat zeigen sich dann alsbald die ersten Risse in dieser Familienfassade, wenn der «gefährlich ambitionierte» Rohstoffmakler Rory (Jude Law) eines Morgens seine Gattin Allison (Carrie Coon) beim Kaffee im Bett damit überrumpelt, dass er zurück nach London ziehen wolle: Eine Riesengelegenheit gebe es da, die Chance, «wieder richtiges Geld zu verdienen». Allison ist freilich gar nicht angetan von dem Gedanken, denn im Grunde wollte man nach drei Umzügen in zehn Jahren hier sesshaft werden. Doch Rory meint: «Es funktioniert für mich nicht.» Und das wars dann eben mit der Jagd auf den amerikanischen Traum. In der nächsten Sequenz sind die O’Haras schon in England, auf dem Weg zu einem fulminanten, wenn auch baufälligen Landgut in Surrey, wo Led Zeppelin einst ein Album eingespielt haben, wie Rory behauptet. Und auch da dauert es nicht lange, bis die Kamera voyeuristisch draussen rumlungert und hinter einem Gebüsch das Heim ins Visier nimmt.

Der Horror schleicht sich ein

Es ist diese Art von unscheinbar anmutenden Kniffen, mit denen Regisseur Durkin bereits in seinem Debüt «Martha Marcy May Marlene» knisternde Spannung erzeugte. Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass dieser Sektenthriller uns einen gehörigen Schrecken einjagte und mächtig Eindruck machte. Durkin war in der Zwischenzeit zwar nicht untätig; er produzierte einige Filme und einen TV-Vierteiler. Doch blinde Arbeitswut legte der 39-jährige Kanadier nicht gerade an den Tag. Es liesse sich da befürchten, dass so einer nach derart langer Schaffenspause dann ein wenig übermotiviert und ungestüm zu Werke gehen könnte. Aber diesen Eindruck vermittelt «The Nest» nun so gar nicht. Ganz im Gegenteil ist das eine maximal beherrschte Angelegenheit: messerscharf inszeniert, hochpräzise konstruiert, fast schon klinisch komponiert. Angesiedelt ist dieses spärlich ausgeleuchtete, farblich diskret ausgestattete Drama einer schleichend zerfallenden und sich endlich an die Gurgel gehenden Familie komplett unverkennbar in den Achtzigern; die Regie jedoch orientiert sich wie der das Seine zur latent gefahrvollen Stimmung beitragende Score von Arcade-Fire-Mann Richard Reed Parry mehr an den (britischen) Horrorfilmen der Siebziger. Auch der Topos des neuen Heims, das seinen Bewohnern zum Verderben wird, ist ein Wink Richtung Horrorgenre; doch wird dieses klassische Motiv hier mit sehr irdischen, aus der Kinooptik bisweilen nachgerade profanen Dingen variiert und ins Thrillerfach transponiert: «Alles ist falsch an diesem Haus», klagt Allison einmal, als die ersten Schecks bereits geplatzt sind, den O’Haras das Wasser bis zum Hals steht, die Kacke derart am Dampfen ist, dass sich die Eheleute mit Vorwürfen eindecken, er sie «peinlich» nennt, sie ihn «ermüdend» schimpft und uns längst klar geworden ist, dass dieser Tausendsassa bloss ein Blender ist – einer, der sich noch immer in der Zeit wähnt, als er eine Million auf der Bank hatte und in New York City lebte, der nunmehr sich aber anhört wie ein kommuner Spieler und vom dicken Scheck faselt, der bald reinkomme, vom grossen Ding, das sich anbahne, der dann aber seine Frau anpumpt und den Chef anpflaumt, mit Schweissperlen auf der Stirn und nervösem Flackern in den Augen. Und das hat ja schon auch etwas von Horror, von einem sich fies an- und flink einschleichenden Horror: wie das Unheil lange auf kleiner Flamme vor sich hin köchelt, es dann zu brodeln beginnt und sich schliesslich regelrechte Brandherde auftun, die kaum mehr unter Kontrolle zu bringen sind – wie sich also die Probleme stapeln und die Beklemmung türmt, bis die ehedem doch so gesund scheinende Beziehung von Rory und Allison zerschellt, Liebe und Respekt in Abscheu und Verachtung umschlagen, bis auch die Kinder in diesen Strudel reingezogen werden und von ihrer Mutter zu hören bekommen, sie seien jetzt alles Fremde für sie, und bis sich schliesslich ein erschöpfter Wahn in den Köpfen einnistet.

Trip in die Abgründe der Achtziger

Was Durkin, der auch das Skript zu «The Nest» verfasst hat, da in simplen Episoden des rein emotionalen Grauens erzählt, ist geradeso beseelt von den Achtzigern wie Bret Easton Ellis’ «American Psycho»: eine notabene gewaltfreie Gruselgeschichte um Gier und Schein, Egoismus und Statusdrang, Oberflächlichkeit und Rücksichtlosigkeit. Das Glück der O’Haras, es ist brüchig und beruht auf materiellen Werten, es ist gekauft, und das erst noch bloss auf Pump. Klar, die Gesellschaftskritik, die damit einhergeht, ist jetzt nicht eben weltbewegend und von überschaubarem Erkenntnisgewinn, doch bildet sie ein solides Fundament – das Fundament für ein überaus langsam und mit absolut absehbarem Ergebnis eskalierendes Drama, in dem sich die hervorragend besetzten Jude Law (so gut wie nie) und Carrie Coon (so angespannt wie stets) ein ungeheuer packendes und zutiefst beelendendes Duell liefern.