Zwischen Himmel und Hölle

Leonardo DiCaprio spielt in Martin Scorseses Biopic «The Aviator» den sagenumwobenen US-Magnaten Howard Hughes und wächst dabei wie sein Regisseur über sich hinaus.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nach dem Boxer Jake La Motta in «Raging Bull», Jesus Christus in «Last Temptation Christi» und dem Dalai Lama in «Kundun» nun also Howard Hughes: Martin Scorsese hat wieder einmal ein Biopic gedreht. Oder besser gesagt: ein halbes – wird doch in «The Aviator» nicht der ganze Mythos, nicht das ganze exzentrische und sagenumwobene Leben des US-Milliardärs abgedeckt, sondern nur die Zeit von 1927 bis 1947. Spannend ist das freilich immer noch – sehr sogar. Porträtiert wird der Unternehmer Hughes, der bereits mit 18 Jahren Millionär ist und später zum reichsten Mann Amerikas wird. Der Filmemacher, der 1930 mit «Hell’s Angels» den damals teuersten Streifen aller Zeiten dreht. Der Playboy, der Affären mit unzähligen Hollywood-Starlets und ernsthafte Beziehungen mit Katharine Hepburn und Ava Gardner unterhält. Und natürlich das Fliegerass Hughes, das in seinen tollkühnen Maschinen sämtliche Rekorde bricht. Auf die finsterdunklen Seiten des Universalgenies, die letztlich die Oberhand gewinnen werden, erhascht man in «The Aviator» nur einen vergleichsweise flüchtigen, aber gleichwohl viel sagenden Blick: Die Paranoia, die Phobien, die Panik vor Viren, die ab den späten 50er-Jahren zu seiner völligen psychischen wie physischen Verwahrlosung führen, treten erst gegen Ende des von Scorsese abgedeckten Zeitraums mit voller Wucht zu Tage.

Mehr glamourös als mysteriös

Nicht zu sehen ist in «The Aviator» somit der Eremit Hughes, der in seinem Refugium im neunten Stock des «Desert Inn» in Las Vegas vor sich hinvegetiert, den ganzen Tag nackt im Bett liegend, sich kaum je waschend, die bis zum Rücken reichenden Haare verfilzt, die Zähne verfault, die Fingernägel zentimeterlang. Das Phantom, das in den letzten zehn Jahren seines Lebens nie sein Zimmer verlässt und das ausser seinen Bediensteten niemand je zu Gesicht bekommt. Der Süchtige, der sich Unmengen Codein spritzt. Der Rassist, der zahlreiche Gesetze zur Integration der Schwarzen verhindert. Der Machtmensch, der seinem Imperium halb Las Vegas einverleibt. Der Strippenzieher, der trotz geistiger Umnachtung das politische Geschehen des Landes massiv beeinflusst, Politiker im Dutzend kauft und letztlich gar Nixons Sturz mit auslöst. «The Aviator» zeigt mit anderen Worten also mehr die glamourösen denn die mysteriösen Zeiten im Leben des Howard Hughes. Man mag dies bedauern, doch bei Lichte betrachtet war Scorseses Entscheidung zur zeitlichen Begrenzung überaus weise. Denn so reizvoll die Idee einer kompletten Hughes-Biografie auch wäre: Zu vielfältig sind die Aspekte seines Lebens, zu weit reicht das Netz, das der Tycoon gesponnen hat, zu viele Persönlichkeiten von hohem Rang und klingendem Namen haben seine Wege gekreuzt. Selbst das Doppelte oder Dreifache der 170 Minuten, die der Film jetzt dauert, würde so wohl kaum ausreichen, um zu verhindern, dass ein solches Unterfangen zur blossen Nummernrevue verkäme.

Schauspielkunst allenthalben

«The Aviator» ist jedenfalls ein grandioser Film, das erste wahrhaft grosse Scorsese-Werk seit «Casino» (1995), ein Geniestreich von monumentalem Ausmass, der am Sonntag zu Recht mit dem Golden Globe prämiert wurde. Er ist voller Leben, voller Visionen, voller Emotionen. Er ist reich an bildgewaltigen Einstellungen, actiongeladenen Sequenzen, zeitgeistatmenden Eindrücken. Er hat Pep, Witz, Chuzpe – und in Leonardo DiCaprio einen alles überragenden Hauptdarsteller inmitten einer Armada von namhaften wie spielfreudigen Partnern und Partnerinnen: Cate Blanchett ist als Katharine Hepburn eine Wucht, Alan Alda gibt den Hughes an den Kragen wollenden Senator Brewster mit einer Oscar-würdigen Darbietung, und gar die ansonsten doch recht biedere Kate Beckinsale ist als Ava Gardner ganz passabel; sachdienliche Beiträge kommen überdies von Alec Baldwin, John C. Reilly, Ian Holm und – in Minirollen – Willem Dafoe, Jude Law als Errol Flynn und Gwen Stefani als Jean Harlow. Der auch als Produzent und treibende Kraft hinter dem Projekt fungierende DiCaprio hat es derweil allen gezeigt. Für ihn, der mit Scorsese bei «Gangs of New York» vor zwei Jahren eine leise Enttäuschung hinnehmen musste und von diesem für das anstehende Remake des packenden Hongkong-Thrillers «Infernal Affairs» abermals engagiert wurde, ist «The Aviator» der berühmte Griff nach den Sternen. Den Golden Globe hat er verdientermassen bereits bekommen, und am 25. Januar dürfte ihn die Academy zum zweiten Mal in seiner Karriere auf die Nominierungsliste setzten. Und was Scorsese angeht, so müsste es schon mit dem Leibhaftigen zugehen, wenn der ungekrönte Regiekönig Hollywoods am 27. Februar nicht endlich, endlich, endlich seinen Oscar in den Händen hält.