Und das Leben geht trotzdem weiter

Mit «Mia madre» hat Nanni Moretti erneut einen Film über Abschied und Verlust gedreht. Dieses Mal jedoch lässt er sich von seinen eigenen Erfahrungen leiten und verzettelt sich darüber ein wenig.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dass man Nanni Moretti in seinem neuen Film sehen würde, stand zu vermuten; der in Italien so hoch verehrte, ja heiss geliebte Autorenfilmer hat es sich trotz einer gewissen Hölzernheit schliesslich selten nehmen lassen, kapitale Rollen mit sich selbst zu besetzen. Dass man ihn in «Mia madre» doppelt antreffen würde, liess sich gleichfalls erahnen – zumal die Hauptfigur eine Regisseurin ist, die wie Moretti vor vier Jahren im Drehstress ihre Mutter zu verlieren droht. Aber gleich einen dreifachen Nanni, der nicht nur optisch auch noch im abservierten Ex-Freund der Heldin aufscheint? Das müsste der 62-Jährige jetzt doch mal erklären. Da er aber nur ungern seine Filme erklärt und ihn dieser autobiografische komplett ausgelaugt habe, kann man das vergessen. Eines indes steht trotzdem fest: Übertriebene Eitelkeit wird nicht der Grund gewesen sein für die Omnipräsenz. Denn allzu vorteilhaft sind diese drei Figuren nicht gezeichnet: Morettis Giovanni, der Bruder der Protagonistin, ist wie sein Schöpfer ein bisschen ein Besserwisser und zudem ein ziemlicher Langweiler. Seine Schwester, Margherita (Margherita Buy), ist das Gegenstück zu ihm, ein Schussel, zusehends überfordert, dabei reichlich selbstbezogen und offenbar nicht übermässig fähig in ihrem Wirken als Regisseurin. Und der Ex, der Schauspieler Vittorio (Enrico Ianniello), wird als Jammerlappen abgekanzelt und hat nur einmal etwas Substanzielles beizutragen.

Der lange Abschied

Aber sie haben es ja auch nicht leicht, die Figuren in Morettis Neuem. Am allerwenigsten natürlich Ada (Giulia Lazzarini), die titelgebende «madre». Sie, die wie Morettis Mamma einst als Lateinlehrerin wirkte, liegt im Krankenhaus, hat es mit dem Herzen, die Sinne verschwimmen, die Kräfte schwinden. Es gebe da nur noch eine Richtung, wird Margherita und Giovanni beschieden – es heisst jetzt Abschied nehmen. Ein langer Abschied freilich. Denn noch vermag sich Ada stets wieder aufzuraffen, und das kann eine Weile so bleiben. Margherita ist das aber kein Trost. Sie trifft das ungleich härter als Giovanni – oder vielleicht auch nur im falschen Moment. Ihr Leben ist so schon ein Chaos. Da ist die Trennung von Vittorio, da ist aber auch die Tochter (Beatrice Mancini), die den üblichen Teenagerärger macht. Und über alledem ist da dieser Barry Huggins (John Turturro), Hollywood-Star mit übelsten Allüren und höchstens halb so viel Talent, wie er zu haben meint. Eine abbauende Mutter, ein hadernder Verflossener, eine quengelnde Tochter und ein abbauender, hadernder, quengelnder Kindskopf also – da würde wohl sogar so ein Besonnener wie Giovanni nicht mehr «funktionieren». Aber Margherita? Die verfällt allmählich in einen regelrechten Taumel. Alles entgleitet ihr in diesen tumultösen Zeiten, selbst die Realität bisweilen, wenn sie wieder einmal schlimm träumt oder am helllichten Tag halluziniert.

Nichts im Griff

Margherita kommt einfach nicht klar damit, dass das Leben ohne Rücksicht auf sie normal weiterläuft, das richtige wie das falsche. Und darin liegt natürlich Morettis grosse Stärke: dieses Leben abzubilden, vor allem das richtige, das alltägliche, jenes an der Grenze zum Banalen. Schon etwas schwerer tut er sich freilich damit, das andere, das «falsche» Leben am Set zu zeigen. Hier verfällt er mit Barrys Possen (die Turturro indes grandios meistert) nicht nur ins Karikaturhafte; er weiss auch oft nicht recht, wie und wo er diesen zweiten Aspekt in den grösseren ersten einbetten soll. Klar hat es seinen Reiz, wenn Morettis Giovanni («Nanni») seiner Schwester quasi Regieanweisungen fürs Leben gibt: «Mach mal was anderes», «Sei nicht so traurig», dergleichen. Oder wenn Margherita Sachen übers Filmemachen sagt, die Moretti auch sagt: über die Schauspieler etwa. Und wenn er Margherita verkünden lässt, ihr aktueller Film über einen Arbeiterstreik sei nicht traurig, sondern voller Energie und Hoffnung – dann darf man das auch als Programm für «Mia madre» verstehen, wo anders als bei «La stanza del figlio» nicht das Unvorstellbare – der Tod des Sohns –, sondern das Erwartbare – der Tod der Mutter – zu gewärtigen ist. Das alles ist auf der Metaebene sicher interessant, und Moretti hat an diesem Spiel mit den Identitäten auch seine Freude und lässt darüber bei allem Leiden auch öfter mal ein Lachen zu. Aber die eine Parallele zur Regisseurin Margherita war dann wohl eher doch nicht intendiert: der Eindruck, dass er die Sache mitunter nicht im Griff hat.