Es brennt der Schmerz im heissen Nichts

In der Theateradaption «August: Osage County» bekriegen sich Julia Roberts und Meryl Streep als Tochter und Mutter. Grosse Schauspielkunst ist das – und sehr strapaziös.

 

von Sandro Danilo Spadini

Sie lieben ihre Zitate, die Amerikaner. Und weil das hier alles so tief aus dem amerikanischen Herzen kommt, steht am Anfang der Theaterverfilmung «August: Osage County» eben auch ein Zitat. Das Leben sei sehr lang, liest das von Sam Shepard gespielte Familienoberhaupt Beverly Weston aus T.S. Eliot vor – und hier draussen in den «Plains» von Oklahoma, in diesem «flachen, heissen Nichts», kommt es einem vermutlich noch etwas länger vor, möchte man bald ergänzen. Beverly, ein gefeierter Dichter, der aber seit 1965 nichts mehr Gescheites vollbracht habe, trinkt dann halt. Den ganzen Tag lang. Eine ganze Menge. Ein «Weltklasse-Alkoholiker» sei er seit 50 Jahren, meint seine Frau Violet (Oscar-nominiert: Meryl Streep). Aber ob sie das beurteilen kann, ist auch wieder fraglich. Denn Violet ist ihrerseits drogensüchtig. Schluckt Pillen. Ebenfalls den ganzen Tag lang. Ebenfalls eine ganze Menge. Und seit bei ihr Mundhöhlenkrebs diagnostiziert wurde, ist es schlimmer geworden. Beverly jedenfalls hält das nur mehr bis zum Vorspann aus. Dann haut er ab und ersäuft sich im See. Und das war sicher kein schlechter Entscheid angesichts des Gekeifes, das einsetzt, als seine Lieblingstochter Barbara (Oscar-nominiert: Julia Roberts) aus Colorado heimkommt. Mutter und Tochter bekriegen sich einfach gerne. Seit je. Und nichts wird daran etwas ändern. Nicht der Tod des Vaters. Nicht der Krebs der Mutter. Und nicht die vielen Tragödien, die da noch kommen.

Magistrale Meryl Streep

Es hat seinen Sinn, dass der vor Ort in Tulsa geborene Dramatiker Tracy Letts sein Pulitzer- und Tony-prämiertes Stück nach dessen Schauplatz benannt hat: Das Land spielt hier natürlich eine Hauptrolle. Draussen unter der sengenden Sonne inmitten endloser Weizenfelder hält sich in der von Letts verfassten Verfilmung von John Wells («The Company Men») zwar niemand länger auf; vielmehr spielen sich die grossen und kolossalen Dramen ganz theatral vorwiegend in dem abgedunkelten Haus mit seinen quietschenden Türen und knarrenden Böden ab. Aber diese Ödnis im zentralen Süden der USA bringt nun mal einen speziellen Schlag Menschen hervor. Und von ihnen lernen wir während dieses zweistündigen Fests der Schauspielkunst so einige kennen. Manche recht gut – wie Violet, die in einem fort lallt und raucht und flucht und pöbelt und der sich abermals selbst übertreffenden Meryl Streep enormen Spass bereitet; oder die ihr viel zu ähnliche Barbara, die wohl übellaunigste Person auf Erden; und auch Ivy (Julianne Nicholson), Barbaras stille Schwester, die stets für ihre Mutter da war und als Einzige durchzublicken scheint. Bei den anderen freilich bleibt es bei einer flüchtigen Bekanntschaft: bei Violets resoluter Schwester Mattie Fae (Margo Martindale); ihrem langmütigen Mann Charlie (Chris Cooper); deren täppischem Sohn Little Charles (Benedict Cumberbatch); Barbaras schöngeistigem Bald-Ex-Mann Bill (Ewan McGregor); ihrem «frühreifen Früchtchen» von Tochter (Abigail Breslin); der überspannten dritten Schwester Karen (Juliette Lewis); und deren schmierigem Schangli Steve (Dermot Mulroney).

Eine Portion Wahrheit

Es fällt nicht schwer, sich diese ausgezeichnet ausgesuchten Mimen als Sippe zu denken, wie sie da daheim beim Leichenschmaus sitzen. Und wenn dort unappetitliche Wahrheiten aufgetischt werden, an denen sie alle schwer zu kauen haben, spürt man eine Verrücktheit, wie es sie nur in Familien gibt. Es ist halt ein Irrenhaus, da hat Bill schon recht. Die Lage ist stets explosiv, und tatsächlich fliegt das Ganze endlich auch in die Luft. Aber dann geht es trotzdem weiter. Das erste Mal ist das schliesslich nicht geschehen. Und das letzte Mal wird es auch nicht gewesen sein. Denn kaum ist das eine Feuer gelöscht, brennt es schon am nächsten Ort. Strapaziös ist das. Trotz regelmässiger humoresker Entspannung auch für uns. Und fürchterlich deprimierend. Aber gewisse Dinge lassen sich einfach nicht reparieren. Und so ist in diesem Gespinst von Lebenslügen nur eines klar: dass eben nicht alles wieder gut wird. Weil es nie gut war. Weil aus Wunden nie Narben wurden. Weil da wahnsinnig viel Wut ist. Wahnsinnig viel Trauer. Wahnsinnig viel Schmerz.