Dein Job? Am Ende der Nacht heimkommen

Wie seine TV-Vorbilder versucht der topbesetzte Copthriller «Triple 9» die Atmosphäre auf amerikanischen Grossstadtstrassen einzufangen. Das gelingt ordentlich. Beim Erzählen der Krimihandlung hapert es aber.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Kino versucht jetzt also zum Fernsehen aufzuschliessen: Unlängst noch hätte solch ein Statement für Verwunderung gesorgt – so als ob man behauptete, die deutsche Bundesliga nehme sich die hiesige Super League zum Vorbild. Mittlerweile indes ist es keineswegs mehr abwegig, dass sich ein Polizistenthriller wie John Hillcoats «Triple 9» an den TV-Klassikern «The Shield» und «The Wire» orientiert. Denn was diese Serien gerade mit der Schilderung der Zustände in US-Grossstadtstrassen geleistet haben, sucht seinesgleichen. Und sucht es weiterhin, zumal ein zweistündiger Film nur bis zu einer gewissen Tiefe und Breite forschen kann im urbanen Gemüt; ihm also andere Grenzen gesetzt sind als einer langlebigen Serie. Wie Hillcoat den Cop-Alltag im 400‘000-Seelen-Sumpf Atlanta schnörkellos auf die Leinwand pflastert, das gibt gleichwohl ein atmosphärisch dichtes soziologisches Porträt von dessen Brennpunkten her – und zeigt jenes Vermögen, das der australische Männerfilm-Regisseur schon in den Western «The Proposition» und «Lawless» demonstrierte.

Freunde, die sich helfen

Die Männer dominieren auch in «Triple 9», der uns eine ähnlich perfide Ausgangslage präsentiert wie einst «The Shield»: indem er uns die, mit denen wir später mitfiebern sollen, als Verbrecher vorstellt – die korrupten Polizisten Marcus (Anthony Mackie) und Franco (Clifton Collins, Jr.), die Ganovenbrüder Russell (Norman Reedus) und Gabe (Aaron Paul) sowie ihren Anführer Michael (Chiwetel Ejiofor), der sich mit der russisch-jüdischen Kosher Nostra eingelassen hat. Ebendiese ist es, die die fünf zum Banküberfall im Prolog angestiftet hat. Und damit nicht genug: Man solle gefälligst auch noch in ein Regierungsgebäude einsteigen und sich dort weiteren Materials bemächtigen, dessentwegen ihr Gemahl derzeit einsitzt, gebietet die Patengattin Irina (Kate Winslet); andernfalls werde sie weder den Sold für den Bankraub noch Michaels Sohn rausrücken, der unseligerweise ihr Neffe ist. Um einen allfälligen Restzweifel zu beseitigen, dass sie dieses Material wirklich sehr gerne haben möchte, lässt sie Russell exekutieren, was Gabe wiederum gen Abgrund treibt. Michael und Co. bleibt also im Grunde keine Wahl, was ihnen die so früh verschüttgegangenen Sympathiepunkte zurückbringen könnte; doch ihr Plan, um den quasi unmöglichen Coup doch zu realisieren, ist dann die Erklärung für den Filmtitel und an Heimtücke schwerlich zu überbieten. Er sieht für Marcus‘ rechtschaffenen neuen Partner Chris (Casey Affleck) eine Schlüsselrolle vor und wird diesen an jene Weisheit erinnern, die ihm sein Onkel und Mentor Jeffrey (Woody Harrelson) am ersten Tag um die Ohren gehauen hat: «Dein Job? Ein grösseres Monster sein als die Monster und am Ende der Nacht heimkommen.»

Formidabel gespielt

Daraus nun entwickelt sich ein wendungsreiches Katz-und-Maus-Spiel mit wechselvollen Loyalitäten, dem indes ein strafferer Aufbau gutgetan hätte. Das ist Drehbuchdebütant Matt Cooks Versäumnis, so wie seiner Schreibe generell das Ausgefuchste abgeht. Derlei liesse sich freilich mit einer fokussierteren, timingsichereren Inszenierung halbwegs wettmachen; doch das sind gerade nicht Hillcoats Stärken, wie schon die Western, aber auch die Cormac-McCarthy-Adaption «The Road» offenlegte. Dafür aber erweist er sich nicht als Faulpelz und verzichtet entgegen gängiger Konvention darauf, mittels ohrenbetäubender Beschallung und epileptischer Wackelkamera Authentizität zu heischen. Und wiewohl Cook die Figuren recht holzschnittartig gezeichnet hat, holt Hillcoat einiges aus der Besetzung heraus. Ja sie ist geradezu formidabel: im Besonderen der vom täglichen Überlebenskampf geschundene Chiwetel Ejiofor, Woody Harrelson mit seinem problematisch lockeren Verhältnis zu einer ganzen Palette Suchtmittel, der gruselig schmierige Clifton Collins, Jr., «The Wire»-Legende Michael Kenneth Williams als transsexuelle Informantin und Kate Winslet. Sie darf als skrupellose «Zarin» mal was anderes machen, und das muss nach all den ernsten Rollen ein Spass gewesen sein. Sogar den russischen Akzent kriegt sie hin und widersteht dabei der Versuchung, eine Schippe zu viel draufzulegen. Selbiges lässt sich von Hillcoat und seinem lupenreinen Genrefilm sagen. Auch das hat er sich offenbar im Fernsehen abgeguckt.