Gegen diese Wilden ist kein Grass gewachsen

Auch wenn die Verwegenheit von früher fehlt: Mit dem Drogenkriegsfilm «Savages» nähert sich Oliver Stone erstmals seit über einem Jahrzehnt wieder seiner Bestform.

 

von Sandro Danilo Spadini

9/11, George W. Bush und die Finanzkrise hat Oliver Stone in seinen letzten drei Filmen verbraten – das hätte für einen angriffslustigen Teufelskerl wie ihn eigentlich ein gefundenes Fressen sein müssen. Erwartet hatte man denn auch Provokationen, Spekulationen, Sensationen – und vor allem: Meisterwerke. Erhalten hatte man aber bloss solides und recht braves Entertainment, das weitgehend die Finger liess von den heissen Eisen der drei wohl wichtigsten Themen der jüngsten amerikanischen Geschichte. Bange fragte man sich: Was ist los mit Oliver Stone? Ist er kampfesmüde geworden? Altersmilde vielleicht? Oder wurde der glühende Verschwörungstheoretiker am Ende gar von dunklen Mächten eingeschüchtert? Wie auch immer, Tatsache ist jedenfalls, dass Stone seit der Football-Abrechnung «Any Given Sunday» und somit seit 1999 kein Meisterwerk mehr fabrizierte: ein Fiasko für einen Mann, dem selbst kritische Geister das Schaffen mindestens eines halben Dutzends Geniestreiche attestieren müssen.  

Von vielem ein bisschen

Und nun also «Savages». Ein Meisterwerk? Ein Geniestreich? Ein Supercomeback? Leider nein. Aber als erfreulichster Stone-Film seit über einem Jahrzehnt geht dieser Drogenkriegsfilm immerhin durch. Etwelche politische, historische oder gesellschaftliche Relevanz weist er zwar nicht auf. Dafür Spurenelemente von gar manchem Genre: Rachethriller, Western, Komödie, Film noir, Buddy-Movie, Liebesfilm – all das ist «Savages» (deutsch: «Wilde») und damit auch ein bisschen ein Chaos. Doch im Chaos ist Stone oft schon aufgeblüht: Man denke an den auch optisch artverwandten «U-Turn», wo der Maestro letztmals «einfach eine Geschichte» erzählte. Jene von «Savages» hat drei Youngsters auf der einen und drei gestandene Stars auf der anderen respektive mal dieser, mal jener Seite. So genau weiss man das gerade beim Drogenfahnder Dennis (John Travolta) nicht, der im einen Moment mit den Cannabis-Grossdealern Ben (Aaron Johnson) und Chon (Taylor Kitsch) paktiert – und im nächsten Augenblick mit dem verlängerten Arm (Benicio Del Toro) von Drogenbaronin Elena (Salma Hayek). Von erhöhter Wichtigkeit ist Dennis’ Positionierung, weil Elena dem langhaarigen Jung-Hippie Ben und dem bürstenschnittigen Irak-Veteranen Chon den (Drogen-)Krieg erklärt hat – und zur Untermauerung dessen deren friedlich geteilte Herzensdame O (Blake Lively) entführt hat. Diese amtet hier auch als Erzählerin. Und sogleich stellt sie klar, dass dies wohlgemerkt nicht zwingend bedeute, dass sie am Ende des Films noch lebe. Denn: «Das ist eine dieser Geschichten», hält die fesche Blondine bedeutungsvoll noch fest, bevor es zur Sache geht, ordentlich zur Sache. Wobei: Angesichts des Titels, des Themas und des für Unzimperlichkeit berüchtigten Regisseurs hätte man das Ganze noch etwas blutiger und brutaler befürchtet.

Kifferposen vs. Business-Attitüde

So angenehm Stones – relative – Zurückhaltung in dieser Sache ist, so sehr wünschte man sich, er liesse sich andernorts dann doch zum gelegentlichen Exzess hinreissen; die streitbare Verwegenheit früherer Tage sucht man indes auch hier vergebens. Gleichwohl und trotz des unerwartet tiefen Tempos, das sein 131-Minuten-Monstrum anschlägt, presst Stone aus der Vorlage Don Winslows noch genug Pep und Energie heraus, um einen jederzeit zu fesseln. Zeit lässt er sich dabei auch für Reflexionen über Gut und Böse – oder eher: über «nicht so gut» und «sehr böse». Denn Absolution erteilen möchte Stone seinen beiden so unterschiedlichen Helden mitnichten. Und so zeigt er sie nicht nur in idyllischen Kifferposen an der Laguna Beach im kalifornischen Orange County –  sondern auch als tüchtige Geschäftsmänner in Verhandlungen, die sich kaum unterscheiden von jenen irgendeines anderen «Big Business». «Savages» – eine sonnig-farbenfrohe Angelegenheit vor düster-blutrünstigem Hintergrund – ist also ein Film der Gegensätze: freilich mehr der offenkundigen als der subtilen. So weit hat sich Oliver Stone dann nämlich nicht verändert. Die feine Klinge ist nach wie vor nicht seine bevorzugte Waffe – das ist immer noch der Holzhammer. Und das darf ruhig so bleiben.