Kino, wie es grösser und besser nicht geht

Wunderregisseur Christopher Nolan lässt in seiner überragenden Comicverfilmung «The Dark Knight» den Batman auf den Joker treffen – und veranstaltet so ein unvergessliches Duell zweier Ausnahmeschauspieler.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das soll Mainstream sein? Diese im Bild düstere, im Ton donnernde, im Wort pessimistische Ballade mit Film-noir-Anstrich soll jener Film sein, der bei den Zuschauerzahlen bereits Rekord um Rekord gebrochen hat? Das soll jetzt also «The Dark Knight» sein? Jawohl, er ist es, und all die Jubelarien, die seit einigen Wochen über den grossen Teich in unsere Gefilde hinüberhallen, waren nicht zu laut angestimmt: Der neue Batman-Streifen ist fürwahr ein Werk wie aus einem Guss; ein Film ohne jeglichen Makel; eine furios orchestrierte, perfekt dirigierte Oper schwarzen Wahnsinns; Kino, wie es grösser und besser nicht geht; ein Geniestreich, dessen Brillanz einen nahezu verrückt und beinahe sprachlos macht.

Ledgers Vermächtnis

Ein zweites Mal setzt hier Wunderregisseur Christopher Nolan den Batman in Szene, ein zweites Mal wird der Titelheld gespielt von Christian Bale. Beide, der 38-jährige englische Filmemacher und der 34-jährige walisische Schauspieler, tun dies so, dass ihre Reputation als jeweils wohl talentierteste Vertreter ihrer Generation abermals bestätigt wird. Dem schon grossartigen Vorgänger «Batman Begins» hat «The Dark Knight» aber nicht nur eine nochmalige Leistungssteigerung Nolans und Bales voraus; es ist nebst anderem und ungeachtet der technischen Perfektion der Produktion das darstellerische Ergänzungspersonal, das zuvörderst für manche Extra-Sternminute besorgt ist. Erneut dabei auf Batmans Seite im Kampf gegen das Böse sind Morgan Freeman als Chefingenieur Lucius Fox, Michael Caine als weitsichtiger Butler Alfred und Gary Oldman als Polizeiinspektor Gordon. Neu dazugekommen sind die wunderbare Maggie Gyllenhaal, die Katie Holmes in der Rolle von Batmans alter Freundin Rachel ersetzt und mit dem ersten Wimpernschlag vergessen macht, sowie der ideal besetzte Aaron Eckhart als kämpferischer Staatsanwalt Harvey Dent und natürlich der 28-jährig verstorbene Heath Ledger als Joker – ein von allen guten Geistern verlassener und von Dämonen unbekannter Provenienz beherrschter Terrorist in ulkigem Kostüm und verschmierter Schminke, der Gotham City samt seinem organisierten Verbrechen in den Würgegriff nimmt und der umso gefährlicher ist, als ihm der Terror nicht zur Durchsetzung eines ideologischen Imperativs, sondern zum inhaltslosen Selbstzweck dient. Ledger bietet im Gewand dieses teuflischen traurigen Clowns ohne Namen und Herkunft eine erschütternde Performance, die einen nochmals schmerzhaft daran erinnert, um welch aussergewöhnlichen Könner die Kinogemeinde da im Januar dieses Jahres beraubt worden ist. Seine letzte (komplettierte) Rolle war die Rolle seines Lebens. Sollte sie tatsächlich postum mit einem Oscar gewürdigt werden, wäre dies weit mehr als eine Geste oder ein Geschenk zu werten; es wäre der verdiente Lohn für einen hell leuchtenden schauspielerischen Glanzpunkt, der die Finsternis überdauern wird.

Vielschichtig und hintergründig

Dass Ledger trotz der mächtigen «Konkurrenz» von Christian Bale der Star dieses Films ist, hat gewiss auch mit seinem profilierungsträchtigen Part zu tun, dem das Drehbuch von Christopher und Jonathan Nolan die Sahnestückchen zugeschanzt hat. Die beiden Brüder, die schon «Memento» und «The Prestige» zusammen geschrieben haben, trumpfen hier freilich auf ganzer Linie erneut mit präzis-bestechender, trotz semiapokalyptischem Gestus bisweilen staubtrockenen Humor versprühender Schreibe auf. Die von einem benommen machenden Soundtrack nach vorne gepeitschte Handlung ist vielschichtig und hintergründig, dringt in psychologische und gesellschaftskritische Tiefen vor, die im Mainstream-Kino üblicherweise unerforscht bleiben. Dabei haben sich die auch in den Nebenrollen sorgfältig ausgearbeiteten Figuren dem grossen Dilemma unserer Gegenwart zu stellen: der Frage nach rechtsstaatlichen Strukturen in Zeiten des Terrors und nach 9/11. Wiewohl ideologisch letztlich unverdächtig bleibend, sorgt das Skript für zusätzlichen Zünd- und Diskussionsstoff, indem es dem mit ungewohnten Zwiespältigkeiten konfrontierten Protagonisten dieses Mal nicht nur den Cop Gordon, sondern auch noch den Giuliani-Qualitäten demonstrierenden Staatsanwalt Dent an die Seite stellt – zumal es so das Tun des gesetzlosen Vigilante, des einsamen Rächers, eben des dunklen Ritters Batman, quasi legitimiert und als letzten Ausweg aus der durch die mephistophelisch raffinierten Joker-Intrigen akzentuierten demokratischen und moralischen Krise offeriert. Es zeichnet dergestalt auch ein trostloses Bild einer zutiefst verunsicherten und resignierten Gesellschaft, die sich im Wissen um das programmierte eigene Versagen auf die Stärke einer entrückten einzelgängerischen Heldenfigur verlässt – machtlos, bedingungslos, den eigenen Untergang in Kauf nehmend. Dass der Joker keine politischen oder religiösen Ziele verfolgt, ist in diesem Kontext nur folgerichtig und mitnichten als Hasenherzigkeit oder Konzession an die Massentauglichkeit zu werten. Vielmehr schaffen es die Nolans damit, ihrem auf so beunruhigende Weise Zeitgeist verströmenden Werk gleichzeitig einen universellen Anspruch zu verleihen. Das ist es denn auch, was «The Dark Knight» endgültig zu einem wahrhaft furiosen, mit den ganz Grossen mithaltenden Streifen macht, zu einer über weiteste Strecken zwar untypischen, aber zur fraglos besten Comicverfilmung aller Zeiten. Oder um es noch etwas prosaischer auszudrücken: zum besten Mainstream-Film dieses Jahrzehnts.