Der Tod in den Strassen von Detroit

Mit «Narc» ist Regisseur Joe Carnahan ein exzellenter Polizeithriller geglückt, der weniger durch ein allzu hohes Spannungspotenzial als vielmehr mittels einer ausgeklügelten Bildsprache besticht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dreck und Müll, schäbige Autos und rostende Wrackteile, industrielle Ruinen und heruntergekommene Häuser, wo das Auge hinreicht. Die moderne Zivilisation zeigt hier ihr hässlichstes Gesicht. Wie das Land, so die Menschen. Junkies und Dealer, Killer und sonstige Psychopathen allenthalben. Die Strassen von Detroit – sie sind der Arbeitsplatz von Undercover-Drogenfahnder Nick Tellis (gewohnt zurückhaltend: Jason Patric), der nach einer katastrophal endenden Festnahme vom Dienst suspendiert wird und erst nach über einem Jahr wieder an Bord geholt wird, um den Mord an einem Polizisten aufzuklären. Gemeinsam mit dessen ehemaligem Partner und väterlichem Freund Henry Oak (ein fülliger gewordener, aber zu Topform auflaufender Ray Liotta) soll Tellis die bereits kalt gewordene Spur wieder aufnehmen und in den tiefsten und schmutzigsten Sumpf menschlichen Daseins eintauchen.

Hart, rau, realistisch

Tellis und Oak, der Jungpolizist und der Veteran, der eine besonnen, der andere aufbrausend, passen nur auf den ersten Blick ins klassische Buddy-Schema von Cop-Filmen. Beide sind sie gezeichnet von Job und persönlichen Schicksalsschlägen, beide sind sie desillusioniert, fertig, menschliche Wracks. Die Welt von Tellis und Oak, wie sie Regisseur Joe Carnahan in seinem harten, rauen und realistischen Thriller «Narc» zeigt, ist nicht minder frustrierend, nicht minder hoffnungslos als jene ihrer New Yorker Kollegen Mills und Somerset in David Finchers «Seven», wo ebenfalls erfolgreich, wenngleich nicht ganz so konsequent mit der herkömmlichen Figurenkonstellation gebrochen wurde und wo entgegen Genre-Konventionen auf dem zwischen dem Hauptpersonals schwelenden Konflikt ebenfalls kein humoristisch aufgeladener Nebenschauplatz eröffnet wurde. Bereits mit einem fulminanten, wie viele andere Szenen mit Handkamera gefilmten Auftaktfurioso macht denn auch Carnahan unmissverständlich und trotz ungefiltert und unvermittelt geschilderter Brutalität weder auf reisserische noch auf geschmacklose Weise deutlich, dass es in «Narc» nichts zu lachen gibt.

Aufwendige Bildsprache

Gleichzeitig zeigt diese erste Sequenz, dass hier ein Regisseur am Werk war, der ganz auf die visuelle Kraft seines Mediums vertraut. Derweil ihn der Plot, der eher dünn ist und keinen allzu fesselnden Spannungsbogen aufzubauen im Stande ist, offenbar nicht übermässig interessierte, kreierte Carnahan für die jeweilige Ebene seiner Erzählung – vornehmlich die Ermittlungen und das problematische Privatleben von Tellis – mittels Gegensatz von kalten und warmen Tönen, unterschiedlicher Kamera- und Schnitttechnik eine eigene, höchst artifizielle, dabei aber sehr kunstvolle und ausgeklügelte Bildsprache, die nie selbstgefällige Spielerei ist, sondern stets im Dienste der Geschichte und der subtilen, den Film in die Nähe eines Psychogramms rückenden Figurenzeichnung steht. Der gehetzten und gestylten Inszenierung werden zwischendurch aber immer wieder ruhigere Passagen mit ausserordentlich langen Dialogen und wenig Schnitten gegenübergestellt, der leise, schlichte Soundtrack schafft einen interessanten Kontrapunkt, und im anders als so manch andere vergleichbare Produktion mit einer sinnvollen und intelligenten Wendung aufwartenden Finale wird «Narc» schliesslich gar zum Bühnenstück, in dem die zentralen Themen des Films wie Schuld und Moral, Wahrheit und Gerechtigkeit in nuce ganz unaufdringlich nochmals aufgearbeitet werden. Dass die aus Kostengründen hauptsächlich nicht in Detroit selbst, sondern in Toronto gedrehte Independent-Produktion, die von Tom Cruise sozusagen entdeckt und dank ihm mit dem ihr gebührendem Aufwand vermarktet wurde, in nur 28 Tagen und mit sehr wenig Geld fertig gestellt werden musste, fällt allenfalls in Bezug auf die Handlung, wo vieles Stückwerk bleibt, negativ ins Gewicht. Bei der formalen Umsetzung hingegen verstand es Carnahan, aus der Not eine Tugend zu machen, sodass sich sein grosses Vorbild William Friedkin («The French Connection») gar darüber ereifert, dass «Narc» auf den einschlägigen Veranstaltungen nicht mit Preisen überschüttet worden ist.