Mit allen Mitteln – um jeden Preis

Regisseur Bennett Miller erzählt in «Foxcatcher» in berückend-unterkühltem Stil eine bizarre wahre Geschichte aus dem Sportlermilieu – und animiert seine Stars erneut zu Höchstleistungen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Manche Geschichten sind einfach zu bizarr, um nicht wahr zu sein. Jene des Multimillionärs John E. du Pont zum Beispiel. Du Pont war Erbe einer Grossindustriellenfamilie. Er war Ornithologe, Philatelist, Sportfan. Und er war ein glühender Patriot. Seine Vaterlandsliebe und die Leidenschaft für das Ringen waren es auch, die ihn erst um den Verstand und schliesslich als Mörder ins Gefängnis bringen sollten. Ende der Achtziger hatte du Pont das Foxcatcher National Training Center auf seinem herrschaftlichen Anwesen nahe Philadelphia gegründet. Es beherbergte zeitweise das nationale Ringerteam – und mit ihm auch Mark Schultz und als Trainer dessen Bruder Dave, beide Olympiasieger von 1984. Mark ist ebenfalls Patriot. In Bennett Millers «Foxcatcher» treffen wir ihn, grandios gespielt von Channing Tatum, mit Goldmedaille um den Hals bei einem Vortrag vor Kindern: «Ich will mit euch über Amerika reden und euch erzählen, warum ich ringe», sagt er da. Drei Jahre sind seit dem Triumph in Los Angeles vergangen, und das Leben war offenbar nicht gut zu ihm. Wir sehen ihn, wie er einen Check über 20 Dollar für seine «inspirierende Rede» abholt. Im Schnellimbiss einkauft. Seinen Burger im Auto herunterschlingt. Und dann verbissen und verbittert in seiner kargen Bude steht, wo ein Altar mit Pokalen vom vergangenen Ruhm zeugt.

Erstaunlicher Carell

Dass das eines amerikanischen Helden unwürdig ist, ist indes nicht unbemerkt geblieben. Er solle zur Foxcatcher Farm nach Pennsylvania kommen, wird Mark am Telefon beschieden. «Herr John E. du Pont von der Du-Pont-Familie» wolle ihn unbedingt kennenlernen. «Ich liebe den Ringsport von ganzem Herzen», wird dieser ihm in der – nicht nur dank Nasenprothese – wie verwandelten Person des hochverdient Oscar-nominierten Steve Carell dann sagen; und: «Ich bin stolz auf dich.» Du Pont meint allerdings, die USA ehrten Mark nicht genug und dass er anders als die sowjetischen Ringer zu wenig unterstützt werde. Es haben sich da zwei gefunden, die das Stadion als Schlachtfeld sehen, wo der Kalte Krieg heiss wird. «Wir werden Grossartiges vollbringen», glaubt du Pont denn auch, als sie mit andächtigem Blick auf George Washingtons Feldlager noch mehr amerikanischen Spirit tanken. Und Mark wiederum meint zu dem noch zweifelnden Dave (Oscar-nominiert: Mark Ruffalo): «Dieses Land hat alle Moral verloren. Es braucht Vorbilder.» So wie ihn. So wie du Pont, den «grosszügigsten Mann Amerikas».

Bleierne Beklemmung

Bei aller geteilten Liebe zu Sport und Land und trotz homoerotischer Untertöne verkörpern Mark und du Pont freilich vor allem Gegensätze: hier der schlichte Kraftroboter aus der Unterschicht, der die Überlegenheit des kapitalistischen Systems demonstrieren soll; dort dessen linkisch-schwächlicher Profiteur, der oben auf dem geerbten Thron vom Schweiss seines gekauften Gladiators benetzt werden möchte. Die politische Leere und soziale Härte der ausklingenden Reagan-Ära wird zwar wie so vieles nicht in Worte gefasst; deren Tristesse ist hier dennoch der dominante Ton: Sind es erst bloss Melancholie und Sprachlosigkeit, die die kalte Luft mit Unheil schwängern, so legt sich später eine bleierne Beklemmung über die sonnenlose Szenerie. Millers Oscar-nominierte Inszenierung ist unterkühlt bis an die Grenze zur Langatmigkeit und dampft so das Sensationelle der bisweilen fast stillstehenden Story auf deren Essenz ein: die abgründigen Obsessionen eines Kriegsnarrs mit Mutterkomplex und Suchtproblem, der felsenfest glaubt, Amerika Hoffnung zu geben, und dabei nicht sieht, dass er wie sein geliebtes Land langsam den Kopf verliert. Stetig stärker ist du Pont nämlich getrieben von einer irrationalen Eifersucht auf Marks smarteren Bruder Dave, aus dessen Schatten er seinen Zögling endlich heraustreten sehen will. Was ihn einige Jahre nach den hier geschilderten Ereignissen letztlich aber genau zu seiner Wahnsinnstat treiben wird, bleibt konfus. Denn Miller selbst, der auch in «Capote» und «Moneyball» wahre Geschichten erzählte, ist trotz all der sehr ausgedehnten Sportszenen kein Ringer; er ist ein Tänzer, der seine Figuren filigran führt – damit sie atmen und gedeihen können. Und der seine Darsteller zu Höchstleistungen animiert, auf dass sie eins werden mit der Wirklichkeit.