Für die Menschen – in jeder Zeit und allem Raum

In Christopher Nolans philosophischem Weltraum-Drama «Interstellar» wird die Erde zu Staub und das All zur Zuflucht – eine pompöse und strapaziöse, epische und epochale Odyssee.

 

von Sandro Danilo Spadini

Verrückt: Schon ein Jahr im Voraus wurde da ein Film beworben, über den man zwar nichts verraten wollte – über den dann aber alle Welt reden sollte. Zu erreichen trachtete man das mittels eines Trailers, in dem Hauptdarsteller Matthew McConaughey zu Archivaufnahmen salbungsvoll die Errungenschaften der Raumfahrt betonte. Mittels einer Inhaltsangabe, die kaum mehr als die Zugehörigkeit von «Interstellar» zum Science-Fiction-Genre deklarierte. Und mittels des Namens jenes Mannes, der sich mit seinem Bruder dieses «Filmereignis des Jahres» ausgedacht hat: Christopher Nolan, Zeremonienmeister der pechschwarzen Batman-Trilogie, Mastermind hinter dem revolutionären Jahrhundertwerk «Inception», Schöpfer des rückwärts erzählten Geniestreichs «Memento». Wer sein Werk so kryptisch und pompös ankündigen lässt, der unterstellt ihm natürlich Wichtigkeit. Und ebendies ist in «Interstellar» von Beginn weg spürbar. In Interviews reden da ältere Leute von damals: wie es war, als es zu Ende ging. Als die Braunfäule alles zerstörte und die Erde zu Staub wurde. Die Bilder dazu suggerieren ein Gestern: Sechzigerjahre tendenziell. Doch dann tritt Cooper (McConaughey) an den Laptop, und wir erfahren bald, dass das ein nahes Morgen ist. Eine von Fortschritt und Wachstum verbaute Zukunft, in der Technik so obsolet geworden ist wie Armeen und Industrien. Worum es hier einzig mehr geht, ist das Überleben auf einer bis zum Exzess ausgebeuteten Erde. Und daher sind auch Leute wie «Coop», der einst Raumfahrer war, nun eben Farmer. Widerwillig zwar, aber die Versorgung der Familie hat jetzt Vorrang vor hochfliegenden Träumen.

Licht am Ende des Wurmlochs

Dazu ist freilich noch nicht das letzte Wort gesprochen – auch wenn es in diesem 169-minütigen Mammutunterfangen seine Zeit dauert, bis Coop endlich abhebt. Einstweilen gilt es auf doch recht abstruse Weise eine geheime Nasa-Einrichtung zu entdecken, wo der legendäre Professor Brand (Michael Caine) und seine Tochter Amelia (Anne Hathaway) Schockierendes offenbaren: Die Welt ist dem Untergang geweiht, noch eine Generation wird überleben. Immerhin: Brand hat ein Wurmloch entdeckt, das von wem auch immer in die Nähe des Saturns platziert worden ist; und dieses führt in eine andere Galaxie, in der laut dort bereits stationierten Forschern drei Planeten das Potenzial zeigen, die Existenz der Menschheit zu sichern. Es soll hier also nicht die Welt gerettet, sondern vielmehr ein Weg gefunden werden, sie zu verlassen. «Suchen Sie uns ein neues Zuhause», ruft Brand denn auch dem auserwählten Coop und Co. entgegen, als sie zu einer Mission starten, die sie zu Riesenwellen, Eiswelten und einem Matt Damon in Colonel-Kurtz-Form führen wird.

In Kubricks Geist

Nun beginnt sie also: die Weltraum-Odyssee durch Raum und Zeit, durch schwarze Löcher und weisse Lichter, die Kubricks Geist atmet und Wissenschaft und Philosophie über Action und Unterhaltung stellt. Es ist eine strapaziöse Reise, wie sie im Blockbuster-Kino neben Nolan nicht mehr viele wagen. Wie er etwa sein Kernthema Zeit abarbeitet, treibt ob all der Hirnakrobatik mehr Schweissperlen auf unsere Laiengesichter als manches Manöver des hallodrihaften Teufelskerls Coop. Die akademische Akkuratesse all dessen liess sich Nolan dabei zwar von Koryphäen auf Gebieten wie Gravitation und relativistische Astrophysik bestätigen; zentraler noch ist indes etwas anderes: das Menschliche und bisweilen Allzu-Menschliche. Denn über allem steht für Nolan die Frage, was uns am Ende des Tages ausmacht. Und so übertrumpfen Liebe und Verrat, Treue und Verlust schliesslich das Fassbare und Erklärbare, das Nolan so sehr schätzt. Das freilich ist für ihn, den Tüftler und Trickser, durchaus Neuland, in dem er sich auch mal ein logisches (!) oder tonales Malheur leistet: etwa wenn er den sterbenden Brand unten auf der Erde mit ihren anders tickenden Uhren Coops längst erwachsen gewordene Tochter (Jessica Chastain) belügen lässt; oder er unterstützt vom diesmal sonst gezügelten Kapellmeister Hans Zimmer die Pathosschraube anzieht. Berührend ist das dann nicht mehr. Und nötig wären die Pauken und Trompeten auch nicht. In Staunen versetzt uns Nolan nämlich auch so einmal mehr. Zwar nicht mit einem Film, in den man sich verlieben würde. Aber mit einem, den man nie mehr vergessen wird, weil auch er beides ist: episch und epochal.