Szenen eine Familienlebens

Der russische Regisseur Andrei Zvyagintsev legt mit seinem Zweitling «The Banishment» ein visuell meisterhaftes Drama vor, das trotz fast epischer Länge psychologisch etwas flach bleibt.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nach Hollywood übergesiedelt hat der in Novosibirsk geborene Regisseur Andrei Zvyagintsev nach seinem viel beachteten Gesellenstück «The Return» (2003) entgegen dem Trend zwar nicht. Doch mit dem Heranziehen von William Saroyans Roman «The Laughing Matter», den er unter erheblichen künstlerischen Freiheiten von den Staaten in ungenannt bleibende, aber gewiss russische Gefilde transponiert hat, ist sein Zweitling «The Banishment» gleichwohl ein wenig amerikanisch geraten. Und mit Blick auf die Handlung dieses verhinderten Meisterstücks lässt sich mit spitzer Zunge überdies anmerken, dass Zvyagintsev der hollywoodschen Logik gefolgt ist, wonach mehr vom Gleichen noch immer eine Option gewesen ist. Gar evident sind die Parallelen zwischen den beiden bislang vorliegenden Talentproben des 44-Jährigen, hat man es doch beide Male mit einem Leben und Tod in die Waagschale werfenden Familiendrama zu tun, dem ein dezenter Thriller-Anstrich verpasst wurde und in welchem der Paterfamilias jeweils die zentrale Figur ist.

Inszenatorische Drohgebärden

Nicht zuletzt handelt aber auch «The Banishment» vor allem von einer Rückkehr. Aus einer grauen Industriestadt zieht Alex (Konstantin Lavronenko) mit seiner Frau Vera (Marie Bonnevie) und den beiden kleinen Sprösslingen aufs Land, ins Haus des schon vor seinem Tod längst abwesenden Vaters. Zwölf Jahre sind vergangen, dass Alex hier war, doch nun scheint die Zeit reif für die Rückkehr. Weshalb er an einem Scheidepunkt angekommen ist, bleibt offen – mit dem Herausrücken von Hintergrundinformationen tut sich Zvyagintsev weiterhin schwer. Dank dem dramaturgisch losen Prolog ist wohl immerhin klar, dass sich Alex im Zwielicht getummelt hat. Dass er auch in der relativen Abgeschiedenheit des Landlebens nicht Frieden finden wird, ist freilich ebenfalls schnell raus. So mehren sich bald die Anzeichen der kommenden existenzialistischen Unbehaglichkeit: das zerfledderte Nervenkostüm der Mutter, die Einsilbigkeit des Vaters, das Lamentieren der Kinder, alles begleitet von inszenatorischen Drohgebärden, die keine Zweifel offenlassen. Schwanger sei sie, klagt Vera schliesslich im ersten Moment der kinderlosen Zweisamkeit, und das Baby sei nicht von ihm, von Alex. Jetzt ist alles anders – und die Geschichte endlich dort, wo sie hin wollte: Sie wird zum Psychogramm einer in der Auflösung begriffenen Familie, die vielleicht gar nie eine war und die – so suggeriert es die recht aufdringliche religiöse Symbolik – aus einem Paradies vertrieben wurde, das ebenfalls nie eines war. «Sei ihnen die Mutter, und ich werde ihr Vater sein», motiviert Alex einmal Vera zum gemeinsamen Familienfrühstück. So weit ist es schon gekommen. Und besser wird es nicht mehr.

Perfekte Bildkomposition

Viel Zeit lässt sich Zvyagintsev beim Ausbreiten des Familienkonflikts, was bestimmt nicht das Verkehrteste ist. Mehr als fünf Minuten dauert es etwa, bis das erste Wort fällt, und es werden weitere lange Passagen ohne Dialog oder die erschütternde Musik von Arvo Pärt folgen. Doch trotz der fast epischen Länge von rund zweieinhalb Stunden bleibt der Plot letztlich eher dünn und psychologisch vergleichsweise flach. Bisweilen überschätzt Zvyagintsev im Drang nach erzählerischem Minimalismus schlicht die Kraft der Dramaturgie und der Stimmung, wodurch sich dann jeweils Momente der baren Behäbigkeit und der puren Belanglosigkeit ergeben. Immer aber ist er mit der Bildkomposition auf beinahe schwindelerregender Höhe, und kaum je verwechselt er dabei simple Wucht mit wahrer Kunst. Seine farblich vollendet abgestimmten und bestechend fotografierten Bilder, wiewohl selbst in den Tagszenen meist ungeheuer düster, erinnern mitunter an jene des grossen Stilisten Wim Wenders, mit welchem er offenkundig eine Schwäche für das Geometrische und perfekt gerahmte Panoramabilder teilt. Weil darob wie beim Deutschen ab und an das allzu Verkopfte wie die gar grosse Geste überhandnehmen und Erzählfluss wie Figurenzeichnung kaum vorankommen, lässt einen das gleichsam biblische Drama um Schuld und Sühne indes mit einer gewissen Gleichgültigkeit zurück. Man hat diese Leute am Ende des Tages einfach zu wenig gut kennengelernt, als man mit ihnen verbannt in der Hölle des Verrats schmoren würde.