Wahnsinnig verliebt

«Thelma & Louise» auf Steroiden: Der provokationsfreudige Thriller «Love Lies Bleeding» ist waghalsig und wollüstig, stilistisch eine Pracht und schauspielerisch eine Wucht. Das Kultpotenzial, das in ihm schlummert, schöpft er aber nicht restlos aus – weil Regisseurin Rose Glass zu schnell zu viel will.

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von Sandro Danilo Spadini

«Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt», «Trainiere auf eigenes Risiko», «Nur Verlierer geben auf»: Motivationsspritzen dieses Kalibers zieren die Wände des etwas speckigen Fitnessstudios, in dem uns die so forsch wie fesch ihrer Wege gleitende Kamera in der Eröffnungsszene des Thrillers «Love Lies Bleeding» herumführt. Und um Schmerzen, Risiken und Verlust wird es dann auch gehen in dem neuen Werk der 34-jährigen britischen Regisseurin Rose Glass («Saint Maud»): in ganz konkret physischer Form – schliesslich ist Körperlichkeit hier dermassen zentral, dass man das Geschehen etwas vorschnell vielleicht unter «Body Horror» in der Tradition eines David Cronenberg abbuchen möchte. Vor allen Dingen aber sind die höllischen Qualen, die unkalkulierbaren Gefahren und der dafür zu bezahlende Preis bei allem Blutzoll, Schweissentgelt und Tränentribut eine Sache der Seele, eine Angelegenheit des Herzens. Dass sich das mit solcher Urkraft so entfesseln wird, darauf hätte man freilich nicht spontan gewettet, nachdem man die Protagonistin dieser wild und wirr eskalierenden Ekstase vorgestellt bekommen hat: Lou (Kristen Stewart) ist da gerade dabei, ein verstopftes und grauslich versautes Klo in dem von ihr geführten Gym instand zu setzen, und alles an ihrer Haltung und ihrem Handeln schreit in die verdammte Welt hinaus, wie angepisst und abgelöscht sie ist – wie unendlich satt sie es hat, hier zu versauern, in dieser schimmelig schmierigen Kleinstadt irgendwo in New Mexico, einem korrupten Kaff, wie sich herausstellen wird, das von ihrem psychopathischen Papa (Ed Harris) kontrolliert wird. Mit ihm hat sie zwar schon vor langer Zeit gebrochen; doch nun wird er in ihr Leben zurückdrängen, listig und lästig eindringen in die Monotonie aus Mikrowellenabendessen, Raucherentwöhnungskassetten und dem einen oder anderen Bier aus dem Kühlschrank, die einzig vom Schnurren ihrer Katze dann und wann durchbrochen wird. Der Grund dafür und für die ganze andere Hölle, die hier bald los sein wird, ist gerade per Anhalter aus Oklahoma in Lous Leben geplatzt: Jackie (Katy O’Brian) bewegt sich wie alle anderen hier – in vollem Einklang mit der dargestellten Zeit, die das Jahr 1989 ist – frisurtechnisch zwar in überaus fragwürdigen Fahrwassern, punktet aber mit einem mächtig muskelbepackten Körper, der ihr bei einem Bodybuilder-Wettbewerb in Las Vegas Ruhm und Kohle einbringen soll. Als Lou sie in ihrem Fitnessstudio zum ersten Mal erblickt, ist sie sogleich hin und weg und ihr Ver- und Überdruss im Nu verflogen. Ein Glück, werden ihre Gefühle von dem «Muscle Chick» erwidert. Pech hingegen, hat Jackie da bereits Bekanntschaft mit dem besten Stück von Lous Schlägerschwager JJ (Dave Franco) und mit ihrem Monstervater gemacht, auf dessen Schiessstand sie als Serviererin jobbt. Und nein, über deren Frisuren reden wir jetzt nicht.
 
Wo die Liebe hinknallt
 
Morde werden geschehen, Blut wird fliessen, Schädel werden aufplatzen – und das alles wird in Grossaufnahme geschehen. Ganz nah dran werden wir auch sein, wenn geschwitzt wird, beim Pumpen oder beim Bumsen; wenn die Steroide gespritzt werden, die Jackie von Lou erhält für das gewisse «Extra»; wenn es knackt und knirscht und man vielleicht lieber doch nicht so genau wissen will, was es damit auf sich hat. Ziemlich provokativ das Ganze – und natürlich auch ein bisschen subversiv mit seinem kecken queeren Selbstbewusstsein. Alles mit massig Punch, keine Frage. Stilistisch einfach eine Pracht. Schauspielerisch sowieso eine Wucht. Aber zur Wahrheit gehört auch: Es wird da auch mal bloss um der Provokation willen provoziert, die Subversion wirkt mitunter erzwungen, nicht jeder Schlag sitzt und trifft in die Magengrube, manches ist nur «l’art pour l’art» – aber hey: immerhin Kunst. Und die eigene Handschrift, die viel zitierte, kann man Glass eh nicht absprechen – auch wenn da und dort nicht nur David Cronenberg grüsst, sondern auch Quentin Tarantinos eloquenter Zynismus, David Lynchs Gewalteruptionen aus «Wild at Heart» und «Lost Highway» und Nicolas Winding Refns Neon-Ästhetik aus «Drive». Oh, und selbstredend erblicken wir im Rückspiegel «Thelma & Louise» – queer und auf Steroiden. Mit der kürzlich gestarteten Komödie «Drive-Away Dolls» von Ethan Coen allerdings, in der sich ebenfalls ein ungleiches lesbisches Paar auf einen mörderischen Roadtrip begibt, hat das hier eher nicht so viel gemein. Wobei das nicht an mangelndem Witz liegt: Die Momente trockenen Humors haben es durchaus in sich, und was Anna Baryshnikov als pummeliges Dummerchen mit schlechten Zähnen und einer spleenigen Schwäche für die maximal desinteressierte Lou abliefert, ist reinstes komödiantisches Gold. Dass der Film sein fraglos vorhandenes und durchaus offen anvisiertes Kultpotenzial trotzdem nicht ganz ausschöpft, wird also andere Gründe haben.
 
Dann doch ein bisschen zu ungestüm
 
Dass Glass hoch zielt und dann prompt immer wieder übers Ziel hinausschiesst, ist nicht der Punkt – das «over the top» und das «in your face» gehören zum Konzept, auch im Visuellen, wo mit satten kontrastreichen Farben geprotzt wird, was das Zeug hält, und mit Flashbacks in rotem Neon die Leinwand abgefackelt wird. Was dieser von Clint Mansells Soundtrack musikalisch kongenial unterwanderten Reise in die amerikanische Finsternis, diesem wollüstigen, waghalsigen, wahnsinnigen Trip in eine psychotische Schattenwelt den ganz grossen Triumph vermasselt, ist die ungestüme Ungeduld seiner Regisseurin. So planvoll und rigide Glass vorgeht, wenn sie Ort und Zeit des Geschehen vermisst, so gross die Akribie und so hoch die Akkuratesse ist, die sie dabei walten lässt, so nachlässig, ja nachgerade schludrig ist sie beim Packen des emotionalen Rucksacks. Dass hier die eine oder andere Schraube recht locker sitzt, wird wohl recht bald offenkundig, und man hat ja auch seinen Spass daran. Doch dann fängt Glass an, auch noch an den dicken Bolzen zu fummeln, an jenen, die das Fundament zusammenhalten, auf dass uns je länger, je mehr der Boden unter den Füssen wegbricht. Auch das wäre an sich noch nicht verkehrt, driftet der Film so doch gemeinsam mit seinen Heldinnen tiefer und tiefer in den Wahnsinn ab. Die Krux ist aber eben, dass Glass dies zu früh tut, zu einem Zeitpunkt, wo dieses Fundament noch nicht stabil genug ist. Als Folge bleiben die Figuren im Comichaften gefangen, und der emotionale Einschlag hält sich in Grenzen. Aber seis drum. Mag es am Ende halt nicht ganz zum Kultprädikat reichen – allen Szenen mit durchaus ikonischem Touch zum Trotz. Und mag «Love Lies Bleeding» noch nicht das definitive Meisterstück von Rose Glass sein: Mehr als eine Talentprobe ist dieser Neo(n)-Noir-Thriller allemal ­– und dem Zeitgeist kneift er sowieso recht knackig in den Hintern.