Krieg der Frühstücks-Champions

Mit «Unfrosted» gibt Comedy-Legende Jerry Seinfeld im zarten Alter von 70 Jahren sein Regiedebüt. Das Ergebnis ist eine monumental alberne Geschichte mit einer voluminösen Sammlung an Dad-Jokes – und das ist ausdrücklich und uneingeschränkt als Kompliment gemeint.

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Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Wie es nur so weit habe kommen können, fragt die Frühstücksflocken-Produzentin Marjorie Post (Amy Schumer) zum Auftakt des dritten Akts der Komödie «Unfrosted» bange. Es gehe um Frühstück; solche Dinge geschähen halt, meint ihr nicht minder verzagt dreinblickender Konkurrent Edsel Kellogg III (Jim Gaffigan). Und geschehen ist bislang unter anderem das: ein im Labor in Stücke zerfetzter Forscher; ein furchteinflössender Besuch beim brutalen Boss eines lateinamerikanischen Zuckerkartells; eine Entführung samt Folterung durch die so gar nicht zu Faxen aufgelegten organisierten Milchmänner; ein nationaler Streik der sich in ihrer Existenz bedroht fühlenden Müsli-Maskottchen; ein notfallmässig einberufenes Treffen der «fünf Frühstücksflocken-Familien»; eine Stippvisite nach Moskau mit einem bizarren Besuch bei Kreml-Chef Chruschtschow; und eine nukleare Drohung seitens Präsident Kennedy. Aber eben: Es geht hier um Frühstück – um ein amerikanisches Heiligtum also, mit dem nicht, nie, unter keinen Umständen je zu spassen ist. Und was es ferner zu beachten gilt: «Es sind die Sechziger. Die Dinge gehen wirklich schnell voran.» Wahre Worte, die Marjorie da einmal mehr ausspricht. Vor allem in Bezug auf den von Netflix produzierten Film: Was der in seine 93 Minuten Spielzeit alles reinpackt, ist nachgerade halsbrecherisch. Und was die Dichte an Gags angeht, kann «Unfrosted» locker mit einer Sitcom mithalten. Ein Zufall ist das natürlich nicht, gibt doch hier mit Jerry Seinfeld ein Meister ebenjenes Fachs im zarten Alter von 70 Lenzen sein Regiedebüt: jener lausbübische Witzbold, der in den Achtzigern und Neunzigern über neun Staffel hinweg «the show about nothing» verantworte, eine (nach ihm selbst benannte) Serie, in der es «um nichts» ging – und die ihn gleichwohl nicht nur zu einer lebenden Comedy-Legende, sondern gemäss «Forbes» auch zum Milliardär gemacht hat.
 
Bunt und süffig wie eine Schale Froot Loops
 
In «Unfrosted» hat er nun aber eben ganz ordentlich was zu erzählen – und es sei eine gute Geschichte, sagt sein Alter Ego Bob Cabana, seines Zeichens Leiter Entwicklung bei Kellogg’s in Battle Creek, Michigan, im Prolog zu einem kleinen Jungen, der gerade einen Pop-Tart verdrückt hat. Dieses mit Konfitüre gefüllte und von Zuckerguss überzogene Toastergebäck hat im Jahr 1963 die amerikanische Frühstückswelt revolutioniert und zu einem regelrechten Krieg zwischen den in unmittelbarer Nachbarschaft produzierenden Giganten Kellogg’s und Post samt den eingangs geschilderten Verwerfungen geführt. Das jedenfalls will uns Seinfeld glauben machen. Und was er zur Untermauerung dessen auffahren lässt, ist ganz schweres Comedy-Geschütz: ein Trommelfeuer aus popkulturellen Verweisen auf das Babyboomer-Milieu, immer wieder neue und schamlosere Eskalationsstufen auf der Albernheitsskala, Salven von stinkfrechen Scherzen auf Kosten allseits geliebter historischer Figuren, eine Armada von Stars – und Klamauk à gogo, Kapriolen à discrétion und Dad-Jokes ohne Ende. Wie die hier vorgestellten Produkte ist das nicht übertrieben gehaltvoll und schon gar nicht allzu subtil. Dafür ist es bunt wie eine Schale Froot Loops und geht mindestens so gut runter. Unwahrscheinlich zwar, dass das bei der Generation Z (oder den Millennials, was das angeht) für herzhafte Lachanfälle sorgen wird. «Seinfeld»-Fans aber haben pausen- und atemlos Grund zum Prusten – schliesslich ist die Pointenquote hier fast auf dem Niveau der Larry-David-Zeiten der Show, als Seinfeld also noch auf die humoristischen Höhenflüge seines Co-Schöpfers bauen konnte. Dessen Expertise fehlt hier freilich, dafür hat sich der New Yorker mit Spike Feresten und Andy Robin zwei alte Kämpen von damals ans Schreibpult geholt.
 
Schelmenhaftes Schaulaufen der Stars
 
Ohne deren Beitrag kleinschreiben zu wollen: Seinfelds richtig wichtige Helferlein stehen hier notabene vor der Kamera. Neben den Stand-up-Spezialisten Jim Gaffigan und Amy Schumer als verfeindete und zugleich in Romeo-und-Julia-Manier einander zugewandte Konzernkapitäne nimmt Melissa McCarthy als Cabanas von der NASA losgeeister Sidekick den grössten Raum ein – und das ist schon mal eine gewisse Rückversicherung. Denn eine Komödie, die Melissa McCarthy in ihren vorderen Reihen weiss, wird im absoluten Minimum und in letzter Not immer noch auf diesen Trumpf zurückgreifen können: den burschikosen und bisweilen brachialen Charme der komödiantischen Überfliegerin aus «Bridesmaids», «The Heat» und «Spy». Nichts weniger liesse sich selbstredend auch über Hugh Grant sagen, der hier einen blasiert-frustrierten Shakespeare-Bühnenbarden gibt, der sich als Cornflakes-Maskottchen Tony the Tiger verdingen muss und am Ende im QAnnon-Schamanen-Kostüm den Aufruhr der zotteligen Werbeträger anführt. Auch mit von der närrischen Partie sind Christian Slater als zwielichtiger Milchmann, Max Greenfield als serviler Assistent sowie James Marsden, Jack McBrayer und Adrian Martinez als vermeintliche Erfolgsgaranten im Entwicklerteam. Und für Highlights im Minutentakt sorgen die Gastauftritte von Leuten wie «Game of Thrones»-Star Peter Dinklage als finsterer Leader von «Organized Milk», Bill Burr als frivol fordernder JFK, Felix Solis als Angst und Schrecken verbreitender Zuckerbaron «El Sucre», Dean Norris als grimmiger Nikita Chruschtschow und Maria Bakalova als dessen zackige Assistentin, Tony Hale als linkischer Puppenspieler, Fred Armisen als zerstreuter FDA-Beamter, Cedric the Entertainer als tapsiger Conférencier, Kyle Dunnigan als gar offenherzig über seine privaten Probleme parlierende Nachrichtensprecher-Ikone Walter Cronkite und grad auch noch als Showmaster-Koryphäe Johnny Carson, Dan Levy als fuchsteufelswilder Andy Warhol und – als Krönung – die «Mad Man»-Stars Jon Hamm und John Slattery als, na was wohl, schneidige Werbefuzzis aus New York. Ohne dieses Schaulaufen der Stars wäre «Unfrosted» zugegebenermassen wohl nicht viel mehr als ein sympathisch nostalgischer Schabernack. So aber wird diese mitunter durchaus aufmüpfige – wenn auch nie boshafte – Schelmengeschichte letzten Endes tatsächlich noch zu einer kleinen Köstlichkeit, deren nonchalant zur Schau gestellter Mangel an Ernst und Ambition doch recht erfrischend ist.