von Sandro Danilo Spadini
«Don’t shit where you eat», sagt das frivole Volksmundwerk und meint damit auch: Obacht bei Büroromanzen! Die sechs Protagonisten von Steven Soderberghs aktuellem Scharmützel
«Black Bag» freilich pfeifen auf diese Weisheit, die sich noch etwas blumiger und expliziter mit
«Don’t get laid where you get paid» ausbuchstabieren liesse. Kluge Köpfe sind sie wohl allesamt – sonst würden sie kaum in höheren Sphären beim britischen Geheimdienst wirken. Kommt allerdings
die Liebe ins Spiel, scheint auch bei ihnen das Urteilsvermögen zuweilen getrübt zu sein. Oder sie meinen halt, sie seien besser als der kümmerliche Rest und stünden über diesen Dingen. Hört man
den sechs eine Weile zu, darf man indes konstatieren: sind sie nicht und tun sie nicht. Denn was sie da übereinander und gerade über ihre Liebsten so alles absondern, klingt nicht wirklich so,
als hätten sie bei der Wahl ihrer besseren Hälfte (und des Freundeskreises) ins Schwarze getroffen: «Du bist kalt!» – «Du bist eine kranke Kreatur!» – «Du bist ein Kleinkind!» – «Du bist eine
Perversion dessen, was ein Mann sein sollte!» – «Du bist ein Bastard!» – «Du bist psychotisch!» – «Du bist ein verdammtes Miststück!» – «Ihr seid krank!» – «Ihr Psychos!» Ob solch
monumentalen Beziehungsfrusts könnte das, worum es hier eigentlich geht, glatt unter den Designerkaffeetisch fallen – oder in der titelgebenden schwarzen Tasche verschwinden, die in der Sprache
der Spione für verdeckte oder heimliche Geheimdienstoperationen steht. Und das tut es mitunter auch. Aber das macht nichts. Denn Spass macht hier beides gleichermassen: das perfide
Katz-und-Maus-Spiel der Agenten und ihr zackiges Liebesgezänk auf «Who’s Afraid of Virginia Woolf?»-Eskalationsstufe. Zumal bei alledem kaum je etwas so ist, wie es den Anschein macht. Und
jedenfalls nichts so simpel.
Finde den Verräter!
Im Zentrum der Geschichte, die wie schon bei Soderberghs jüngsten Arbeiten «Kimi» und «Presence» von dem Drehbuchautor und Regisseur David Koepp («Ghost Town») ersonnen worden ist, stehen die in
einem todschicken Londoner Townhouse residierenden Eheleute George Woodhouse (Michael Fassbender) und Kathryn St. Jean (Cate Blanchett): er ein emotionsloser Virtuose am richtigen Ende des
Lügendetektors, der an John le Carrés George Smiley gemahnt; sie eine nicht minder hochrangige, aber ungleich ambitioniertere und von manischen Geldängsten um den Schlaf gebrachte Spitzenagentin.
Er sagt: «Ich mag keine Lügner.» Sie sagt: «Ich schätze Loyalität.» Und diese beiden Leitideen sind es dann, an denen sich zwischen den beiden zumindest vordergründig glücklich Liierten ein
explosiver Konflikt mit weltpolitisch relevantem Zündstoff entfacht. George erhält den Auftrag, einen Verräter in den eigenen Reihen aufzuspüren, der eine zerstörungsmächtige Software gestohlen
hat. Die Verdächtigen: sein allzu trinkfreudiger Kumpel und Kollege Freddie (Tom Burke), dessen spitzzüngige und kratzbürstige viel zu junge Freundin Clarissa (Marisa Abela), der blasierte
Emporkömmling James (Regé-Jean Page), die mit diesem verbandelte katholisch-verkorkste Hauspsychiaterin Zoe (Naomie Harris) – und eben die geliebte Kathryn, die sagt, sie würde für George töten,
und nicht weniger zurückerwartet. Eine schöne Truppe ist das, was sich Soderbergh und Koepp da zusammengestellt haben (sie wird noch sporadisch ergänzt durch den von Pierce Brosnan verkörperten
Vorgesetzten der sechs). Und geradeso prächtig ist das Ensemble, das sich damit austoben darf und lustvoll die «Fun and Games»-, die «Spiel und Spass»-Prämisse auslebt, die George im Vorfeld
einer köstlich aus dem Ruder laufenden Dinnerparty ausruft – ein komplexes, teils kompliziertes Schachspiel unter professionellen Lügnern, dessen Regeln fluid sind. Burke («Mank») verströmt
mit jeder weit geöffneten Pore den zweifelhaften Charme seiner Figur – und Alkoholausdünstungen, die man nachgerade zu riechen meint; Abela (die Amy Winehouse aus «Back to Black») kreiert für
ihren Part einen kecken Kontrast zwischen einem erotiklosen Job als Datenexpertin und einer psychisch angeknacksten Laszivität; Page («Bridgerton») gleitet geschmeidig durch das Dickicht aus Lug,
Betrug und mal latenten, mal akuten Animositäten und positioniert seinen Videospiele zockenden Karrieristen an den Rand der Lächerlichkeit; und Harris, die zweite 007-Ehemalige neben Brosnan,
schafft es mit müheloser Seelenruhe, dass man ihrer Seelenklempnerin jederzeit abkauft, dass sie sich für Menschen interessiere – und selbst die eine oder andere Sitzung auf der Couch vertragen
würde. Sie alle indes stehen im Schatten der beiden Stars, von Fassbender und Blanchett, die hier beide zum zweiten Mal für Soderbergh vor der Kamera stehen. Fassbender macht zwar eigentlich
nicht viel anderes als das, was er bereits in David Finchers «The Killer» getan hat: einen Kühlschrank zu mimen, der sich seiner Brillanz wohl zweifelsfrei gewahr ist, sich aber nicht allzu
darauf viel einbildet und der auch nicht mit der Wimper zuckt, wenn Clarissa ihm sagt: «Für einen Moment lang dachte ich, du seist ein Mensch.» Und Blanchett, die Jahrhundertschauspielerin, ist
nicht nur so gut wie lange nicht mehr, wenn sie ihrer ebenso rigide kontrollierten Kathryn den einen oder anderen Riss in der Fassade zugesteht und Zoe mit inadäquater Feindseligkeit vernichtet;
sie schaut in edelstes Tuch gehüllt auch so umwerfend aus wie selten zuvor, wenn man das denn so sagen darf.
So viel Spass wie lange nicht
Formstark wie lange nicht mehr präsentiert sich auch der 62-jährige Steven Soderbergh in «Black Bag», seinem sage und schreibe 36. Spielfilm in seinen 36 Jahren als Regisseur, dem 10. seit dem
«Comeback» im Jahr 2017. Es war beileibe nicht alles Gold, was unter der oft aparten Oberfläche funkelte; und ein grösserer Wurf ist ihm sowieso schon eine gute Weile nicht mehr geglückt – so wie
er das einst mit Streifen wie «Erin Brokovich», «Traffic» oder «Ocean’s Eleven» und später «The Good German», «Contagion» oder «Side Effects» quasi im Akkord hinbekommen hat. Dass Soderbergh hier
wieder derart abliefert, liegt auch daran, dass er seine gleichsam markenzeichenhafte Coolness wiederentdeckt hat. So verzwickt und vertrackt das Skript von David Koepp auch ist, so nonchalant,
so stil- und selbstischer rattert und trippelt Soderbergh von Szene zu Szene – dass das auch mal nicht ganz so elegant und wie in der Sequenz am Flughafen Zürich fast ein wenig billig ausschaut,
ist dem Digitalpapst offenkundig herzlich egal, und dass die Übergänge stellenweise arg abrupt sind, passt grad zum geschäftsmässig-geschäftigen Treiben und zu den messerscharfen Dialogen. Zählt
man die schön knackigen 93 Minuten Laufzeit, den lässigen Jazzsoundtrack von Stammkomponist David Holmes und die der Digitaltechnik trotzenden angenehm gedämpften Farben dazu und zieht den eher
harzigen Beginn ab, so darf man das, was Kathryn gegen Ende sagt, guten Gewissens auf Soderberghs Tun ummünzen: «Ich hatte seit Jahren nicht mehr so viel Spass.»