Sonny bringt den Rock ’n’ Roll zurück

Das Actiondrama «F1: The Movie» erfindet den Reifen zwar gewiss nicht neu und protzt mit Machomätzchen und Grossspurigkeiten. Es strotzt aber vor technischer Bravour und hat obendrein Brad Pitt am Steuer. Ein Old-School-Meisterwerk der Sportfilm-Geschichte!

Warner Bros.

von Sandro Danilo Spadini

Es ist keine übermässig voluminöse, qualitativ dafür aber umso breiter gefächerte Palette, die die Filmgeschichte in Sachen Autorennsport anzubieten hat: vom bizarren Rohrkrepierer «Driven» des finnischen Regie-Hasardeurs Renny Harlin mit Sylvester Stallone, Til Schweiger und Blümchen bis zu Ron Howards magischem Meisterstück «Rush» über das epische Duell zwischen Niki Lauda und James Hunt in der Formel-1-Saison 1976. Insofern schwebte über dem vom Dachverband FIA abgesegneten und vom siebenfachen Champion Lewis Hamilton mitproduzierten Blockbuster-Anwärter «F1: The Movie» trotz 300-Millionen-Budget und De-luxe-Besetzung eine Wolke der Unsicherheit: Würde sich «Top Gun: Maverick»-Regisseur Joseph Kosinski beim Erzählen seiner Geschichte über den fiktiven Comebacker Sonny Hayes (Brad Pitt) wie weiland Harlin einen Dreck scheren um Glaubwürdigkeit und ein vollkommen sinnbefreites Benzin-im-Blut-Rambazamba anzetteln? Oder würde er in Howards Stil der Nostalgie frönen und den Zauber dieses Zirkus in den Mittelpunkt hieven? Oder aber macht er nichts davon, und sein Film verkommt zum schnöden PR-Vehikel des Multimilliarden-Business Formel 1? Nun also: von allem ein bisschen, darf man wohl sagen – das indes auf einem Niveau, das sich von Harlins Machwerk in etwa so weit abhebt wie die Performance des McLaren-Teams mit Prost und Senna von derjenigen des Jahrhundertflop-Rennstalls Life Racing, und einer werbetechnisch durchaus verträglichen Annäherung an das Phänomen, die Kosinskis Testosteron-Reisser einen Platz auf dem Podest der Autorennsport-Filme sichert.  
 
Eine bizarre Verzweiflungstat
 
Die Story von «F1: The Movie», die freilich verströmt ein wenig «Driven»-Vibes und geht wie dann auch die eine oder andere Spektakelsequenz dorthin, wo es den Realisten wehtut: Gut 30 Jahre nach seinem beinahe tödlichen Unfall in Jerez kehrt «in einem bizarren Twist», wie es heissen wird, der amerikanische Draufgänger Sonny Hayes in die Formel 1 zurück, zum noch punktlosen und in seiner Existenz bedrohten britischen Rennstall Expensify, der seinem einstigen Lotus-Teamkollegen Rubén Cervantes (Javier Bardem) gehört. «Desperate times call for desperate measures», besondere Zeiten erforderten besondere Massnahmen, meint ein Kommentator dazu – aber an eine Massnahme, die so «desperate», so besonders und verzweifelt sei, könne er sich nicht erinnern. Und man kann diese Skepsis verstehen: Nicht bloss die 30 Jahre Absenz wirken grotesk – auch Sonnys Wesen und sein (verheimlichter) Gesundheitszustand haben einen wenig vertrauensfördernden Effekt: Nach seinem Crash, von dem er bleibende, potenziell noch immer lebensbedrohende Schäden davongetragen hat, versuchte sich Sonny zwischendurch als Taxifahrer in New York, er litt an Spielsucht, fuhr mehrere Ehen an die Wand, ritt sich in die Privatinsolvenz und verdingte sich dann bis zuletzt als Freelance-Fahrer überall dort, wo es eben gerade jemanden brauchte. Dass er es allerdings noch immer draufhat, beweist er in der lauten und chaotischen Auftaktsequenz, in der er mit seiner Truppe die 24 Stunden von Daytona gewinnt. Anders als die Fachwelt sind wir deshalb nicht ganz so sehr vor den Kopf gestossen, als Rubén ihn in einem Waschsalon aufsucht und ihm das Angebot macht, für die verbleibenden Rennen der Saison den zweiten Fahrerplatz hinter dem britischen Talent Joshua Pearce (Damson Idris) zu übernehmen. Als «absolut Besten der Welt» bezeichnet Rubén ihn dann noch bauchpinselnd – wiewohl sich dann am Tag, an dem Sonny tatsächlich im Camp von Expensify aufschlägt, herausstellt, dass er nur die siebte Wahl war. Oder achte. Oder neunte. Andere meinen, er sei «the greatest there never was»: der Grösste, der es nie geschafft hat. Und wiederum andere spotten, er sei nicht mal ein «has-been», sondern ein «never-was»: nicht einer, der mal jemand war, sondern jemand, der nie einer war. Ähnlich sieht das der junge Heineken-alkoholfrei-Trinker Joshua mit seinem Diamanten im Ohr, den der mit Tattoos übersäte und Hippieschmuck behangene Desperado Sonny seinerseits als eingebildet und arrogant bezeichnet und als einen, der noch viel lernen müsse. Die üblichen Gockelkämpfe zwischen Alt und Jung, Mentor und Lehrling also, wie man sie aus zahllosen Sportfilmen kennt, garniert natürlich mit massig grossspurigen und breitbeinigen Machomätzchen – wir sind hier schliesslich im Autorennsport und nicht beim Nonnenhockey. Sonny ist denn auch jemand, der die Dinge gern auf seine eigene Weise regelt, und diese Weise ist dezidiert oldschool. Safety first? Nicht mit ihm. Hightech? Nicht so sein Ding. Taktik? «Fahr schnell» – gewissermassen im Franz-Beckenbauer-Duktus von «Gehts raus und spielts Fussball!». Doch wie einst beim Kaiser ist diese Nonchalance nicht die vollumfängliche Wahrheit. Denn hinter diesem hallodrihaften Harakiri-Cowboy, der den auch im Formel-1-Zirkus so schmerzlich vermissten Rock ’n’ Roll mit einem Big Bang zurückbringt, dem einsamen Wolf, wie er von der Technikchefin Kate McKenna (Kerry Condon) tadelnd tituliert wird, oder dem «gefährlichen Arschloch», wie es Joshuas Mutter (Sarah Niles) einmal formuliert, hinter diesem Oldtimer mit der so coolen Facette verbirgt sich eben auch ein akribischer Arbeiter, der nicht nur Psychospielchen und Taschenspielertricks in petto hat, sondern sich auch sehr viele Gedanken über Technik und, ja, das ebenfalls, Teamtaktik macht. Und das wird sich gerade für Joshua bezahlt machen.
 
Reingezogen und durchgeschüttelt
 
Alte Schule, aber irgendwie dann doch offen für Neues: Das lässt sich auch über den Modus Operandi von Joseph Kosinski und Drehbuchautor Ehren Kruger («The Ring», «Arlington Road») sagen – ein Rezept, das den beiden bereits bei der «Top Gun»-Neuauflage vor drei Jahren zu Applaus sowohl vom Publikum als auch von der Kritik verholfen hat. Auch hier erfinden sie das Rad respektive den Reifen nicht neu. Über weiteste Strecken des Parcours verläuft die Handlung in geordneten Bahnen – quasi wie bei einem Grand Prix: Auf kleinere Erfolge folgen grössere Rückschläge und auf diese dann der finale Triumph. Es gibt eine nicht übermässig vertiefte Romanze, eine auch nicht sonderlich komplexe Intrige und die üblichen Sticheleien zwischen zwei Alphamännchen, die am Ende aber beide etwas fürs Leben gelernt haben werden. Was die Sache gleichwohl speziell macht, ist, dass sich Kosinski und Kruger nicht scheuen, eine ganz generell und in Hollywood im Besonderen ziemlich aus der Mode geratene altmodische Form von Männlichkeit zu zelebrieren, gleichzeitig aber darauf achten, dass diese nicht allzu dominant wird und alles in den Schatten stellt. So lassen sie den wie stets charismatischen Brad Pitt und den soliden Idris Damson zwar ausgiebig schäkern und scharmützeln; sie vergessen darüber aber auch die Nebenfiguren um die alles andere als wie eine Quotenfrau auftretende Kerry Condon («The Banshees of Inisherin») nicht und halten so wie zunehmend auch der Plot den Teamgedanken hoch. Eine nicht minder verträgliche Mischung finden Kosinski und Kruger auch, wenn es um das Technische und das Formel-1-Spezifische geht: Da ist genug über Motoren und Boxenzauber drin für die Freaks und dank Kürzestauftritten von Figuren wie Max Verstappen, Fernando Alonso, Frédéric Vasseur, Martin Brundle und natürlich den Mitproduzenten Toto Wolff und Lewis Hamilton auch massenhaft Starpower für die Fans. Es ist dann aber nicht so, dass man ein ausgemachter Technikfetischist sein oder sich überhaupt gross um diesen Sport kümmern müsste, um sich von diesem zweieinhalbstündigen Meisterwerk der Sportfilmgeschichte in den Bann ziehen zu lassen. Das liegt nicht zuletzt, sondern zuallererst an der technischen Bravour, die Kosinski auch hier wieder an den Tag legt und die seinen Film in dessen knackigsten Momenten zu einer nachgerade immersiven Erfahrung macht. Wie es einen da im Kinositz reinzieht und aufputscht und durchschüttelt – das ist gleichsam die reine Lehre des Actionkinos. Und das mit dem Rhythmus beherrscht Kosinski auf seiner weltmeisterlichen Tour von Silverstone über Monza, Zandvoort, Suzuka, Spa und Las Vegas bis nach Abu Dhabi sowieso: Da folgen auf rasant geschnittene, adrenalingetränkte und meistens realistisch wirkende Rennszenen psychologische Dynamiken offenlegende Teambesprechungen, folgt auf eine geschmeidige Montage mit Sonnys Grand-Prix-Heldentaten im Schnelldurchlauf eine längere rennfreie Passage und auf eine Revue vielgestaltiger Unbilden schliesslich das vom beinahe obligaten Hans-Zimmer-Soundtrack getragene Grande Finale mit einem Rennen für die Ewigkeit, wie es der Kommentator ausdrückt. Ob er schon einmal ein Wunder gesehen habe, fragt Sonny am Anfang Rubén. «Noch nicht», antwortet dieser. «Ich auch nicht», gibt Sonny zurück. Das wird am Ende von «F1: The Movie» anders ausschauen. Da werden die beiden ihr Wunder erlebt haben. Und wir mit ihnen: hautnah und dann tatsächlich auch ordentlich berührt.